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Sport und Corona – wie passt das zusammen?
Sport und die Corona-Pandemie sind auf doppelte Weise eng miteinander verknüpft. Zum einen haben sportliche Großveranstaltungen eine wichtige Rolle bei der Ausbreitung von SARS-CoV-2 gespielt. Am markantesten ist dies bei dem Fußballspiel von Atalanta Bergamo gegen den FC Valencia am 19. Februar 2020 erkennbar. Bei diesem Spiel wurde das Virus unter den Fans massenhaft übertragen. Es bildete den Kern des großen Ausbruchs in Norditalien, gleichzeitig schleppten die spanischen Fußballfans das Virus auf der Rückreise in ihre Heimat ein.
Umgekehrt gehört der Sport zu den Hauptleidtragenden der Pandemie: Sowohl der Profisport als auch der Amateur- und Breitensport sind während des Shutdowns nahezu vollständig zum Erliegen gekommen. Während dies für viele Vereine eine akute Existenzbedrohung bedeutet, leiden viele Freizeitsportler vor allem darunter, dass sie ihren Sport nicht mehr ausüben können – vom Joggen und anderen Freiluftaktivitäten mal abgesehen. Die Möglichkeiten, sich in der Gemeinschaft fit zu halten, sind noch immer eingeschränkt.
Was das alles für den Sport und unser Bewegungsverhalten bedeutet und welche Rolle Sportveranstaltungen für die Ausbreitung von SARS-CoV-2 spielen, hat der Sportbiologe Henning Wackerhage von der Technischen Universität München (TUM zusammen mit Kolleginnen und Kollegen in einer Studie näher untersucht. Im Interview erläutert er ausgewählte Ergebnisse und erklärt, welche Empfehlungen sich daraus ableiten lassen.
Herr Wackerhage, welche Rolle haben Sportveranstaltungen bei der Ausbreitung der Corona-Pandemie gespielt?
Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass Italiens erster Patient sehr viele Menschen getroffen hat und, bevor er selbst erste Symptome bekam, bereits eine größere Anzahl Menschen in Bergamo angesteckt hatte. Auch die haben das Virus dann wohl bereits weitergegeben und dann kam das große Ereignis, das erste Champions League Spiel des Vereins Atalanta Bergamo gegen den FC Valencia.
Die Menschen in Bergamo dachten damals noch, dass das SARS-CoV-2-Virus irgend so ein Virus in China sei. Bedenken gab es da kaum. Und es gab ja auch noch weitere Großereignisse, wie beispielsweise das Spiel FC Liverpool gegen Atlético Madrid. Alles Ereignisse wo 40, 50 oder 60.000 Menschen zusammen kamen. Unter den Zuschauern dürften sich viele angesteckt haben und die haben dann das Virus mit nach Hause getragen und dort wieder andere infiziert.
Ganz ähnlich ist auch die Ausbreitung des Virus im Skiort Ischgl zu sehen: Dort haben sich auch viele Menschen angesteckt und dann haben die Menschen das Virus zu Hause wieder weiter verbreitet. Es gab da am 29. Februar einen Flug nach Island mit 15 infizierten Personen und von denen waren 14 in Ischgl zum Skifahren. Norwegen führte Mitte März 40 Prozent seiner Corona-Infektionen auf Ansteckungen in Österreich zurück. Auch in Bayern hat das Skifahren einiges zu den hohen Fallzahlen beigetragen.
Wie können solche Effekte in Zukunft vermieden werden?
Die Beispiele zeigen, dass Sportereignisse wesentlich dazu beigetragen haben, dass sich das Virus in Europa so stark verbreitet hat. Was lernen wir daraus? Besonders für internationale Sportereignisse, bei denen Menschen aus vielen Ländern zusammen kommen und danach wieder zurück reisen, ist das Risiko groß, dass man sich gegenseitig ansteckt und das Virus global verbreitet. Das ist jetzt natürlich ein großes Problem zum Beispiel für die Ausrichtung der Olympischen Spiele in Tokyo.
Die entscheidenden Infektionswege sind Tröpfchen und Aerosole sowie die Infektion über Oberflächen. Es gibt ja ganz viele verschiedene Facetten des Sports, wo verschiedene Infektionswege ein Problem sein können. Jetzt muss man sich für jede Sportaktivität gezielt überlegen: Wie kann ich hier Infektionen vermeiden?
Um Fußballstadien wieder öffnen zu können, braucht es eine Vielzahl von Maßnahmen, beispielsweise die sichere Einhaltung von Abständen, möglicherweise Gesichtsmasken gegen Tröpfchen, Desinfektion von Geländern, Schutzmaßnahmen beim Catering und Social Distancing bei der Anreise. Geisterspiele ohne Zuschauer sind da natürlich eine relativ sichere Lösung.
Sie haben zusammen mit einem Expertengremium Empfehlungen für Fitness-Studios ausgearbeitet. Was empfehlen Sie?
Wir schlagen einen detaillierten Fünf-Punkte-Plan vor. Der erste Punkt darin sind Mitarbeiterschulungen. Die müssen die Ansteckungsmöglichkeiten kennen, müssen den Betrieb des Fitnessstudios anpassen, um Tröpfchen-, Aerosol- und Schmierinfektionen zu vermeiden, und sie müssen die Maßnahmen auch mittragen.
Eine weitere Empfehlung ist, die Fitnessstudios gut zu lüften und hochintensive Belastung zu vermeiden. Wenn man Sport treibt, erhöht sich das Atemvolumen von etwa fünf bis zehn Litern pro Minute in der Ruhe auf über 100 Liter pro Minute bei untrainierten Menschen. Sehr gut trainierte Sportler erreichen über 200 Liter pro Minute. Wir wissen nicht genau, wie viel SARS-CoV-2-Viren Infizierte dabei freisetzen, aber man kann sich vorstellen, dass, wenn jemand 150 Liter pro Minute atmet, der quasi zur sprichwörtlichen Virenschleuder wird. Intensive Belastungen im Fitnessstudio sollte man also vermeiden; das sollte man dann eher im Freien machen.
Wenn man beim Krafttraining Geräte gemeinschaftlich benutzt, sollte man nach jeder Benutzung die Hanteln mit einem Desinfiziertuch abwischen, um eine Schmierinfektion zu vermeiden. Idealerweise sollte also eine Person alle Übungen durchführen und dann das Gerät desinfizieren, denn das Virus kann auf Metalloberflächen bis zu einem Tag lang überleben.
Sollte sich jemand infiziert haben, ist eine Nachverfolgung wichtig, das heißt eine Liste, wer wann trainiert hat. Über diese Liste kann dann das Gesundheitsamt sehr schnell feststellen, wer wann mit wem wie lange Kontakt hatte, gefährdete Personen umgehend testen und notfalls in Quarantäne schicken. All diese Maßnahmen würden auch für den Vereinssport funktionieren.
Sind trainierte Personen durch ihre Fitness besser vor einem schweren Verlauf geschützt?
Fitte und gesunde junge Menschen haben ein geringes Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19, sind aber nicht völlig davor geschützt. Ein gutes Beispiel ist „Patient 1“ des italienischen Covid-19-Ausbruchs, ein 38-jähriger Marathonläufer: Der war zwar fit, lag aber trotzdem zwei Wochen auf der Intensivstation.
Es gibt zwar keine eindeutigen Beweise dafür, dass körperliches Training die Häufigkeit akuter Atemwegsinfektionen reduziert, doch es gibt Indizien dafür, dass regelmäßige Aktivität die Schwere von Infektionen vermindert. Erwiesen ist, dass leichtes Training das Immunsystem eher stärkt, während Sportler, die sehr hart trainieren, sich eher häufiger Infekte einfangen. Hartes Training sollte man also nach Möglichkeit unterlassen.
Was ist aus Ihrer Sicht besonders zu beachten?
Viele Infektionen durch den SARS-CoV-2-Virus geschehen durch Personen, die keine Krankheitssymptome zeigen. Die haben keinen Husten, die haben keinen Schnupfen, denen geht es eigentlich gut. Trotzdem sind sie infiziert und können andere Menschen anstecken. Das ist ein großes Problem, denn man kann jemanden, der infiziert ist, nicht immer an seinen Symptomen erkennen. Die Konsequenz für uns im Sport ist, das wir eigentlich jeden so behandeln müssen, als wäre er oder sie infiziert, und entsprechende Schutzmaßnahmen treffen müssen – und außerhalb des Sports gilt das eigentlich genauso.
Jetzt gilt es, die positiven Effekte des Sportes zu nutzen, während man die Infektionsrisiken minimiert. Die legendären Sportphysiologen Bente Klarlund-Pedersen und Bengt Saltin haben Publikationen zu 26 Krankheiten analysiert, und für eigentlich alle gilt: Sport hat positive Effekte, sowohl in der Prävention als auch in der Therapie.
Grundsätzlich gilt es, wie im Arbeitsschutz, die Risiken zu identifizieren und für jede Sportart die geeigneten Maßnahmen zu erarbeiten. Mit Maßnahmen wie Abstand, Mund-Nasen-Masken, Desinfektion und einer geeigneten Nachverfolgung kann man die meisten Sportarten wieder guten Gewissens machen.