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Schuberts Winterreise: Am eisigen Abgrund des Todes
Unter welchen Umständen entstand »Die Winterreise«?
Seitdem die Syphilis, an der Franz Schubert (1797–1828) seit 1823 litt, sich 1827 in einem neuen Krankheitsschub äußerte, überschatteten Depressionen den Alltag, ohne aber seine Schaffenskraft lähmen zu können. Der frühe Tod mit nur 31 Jahren gönnte ihm kein Alterswerk, doch von einem Spätwerk ist sehr wohl zu sprechen. Dieses Spätwerk setzt ein mit der »Winterreise«, jenem Zyklus von 24 Liedern, den der Musikwissenschaftler Hans Heinrich Eggebrecht die »Sternstunde einer Begegnung zwischen einem Gedichtangebot und einem kompositorischen Potential« nennt. »Sie haben mich mehr angegriffen, als es je bei anderen Liedern der Fall war«, zitiert Joseph von Spaun seinen Freund Schubert, als der sie »mit bewegter Stimme« im privaten Kreis erstmals vortrug.
Was diente als literarische Vorlage?
Wilhelm Müllers Gedichtzyklus »Die Winterreise«, den er im Jahr 1823 in zwei Folgen veröffentlichte. Zehn Gedichte erschienen in dem Leipziger Almanach »Urania«, zehn weitere in einem Breslauer Periodikum, gefolgt von den zwei zusätzlichen Gedichten »Die Post« und »Täuschung«. Eine Gesamtausgabe des Zyklus wurde, neu geordnet, als zweiter Band der »Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten« veröffentlicht. Im ersten Band aus dem Jahr 1821 hatte Wilhelm Müller seinen von Schubert 1823 vertonten Zyklus »Die schöne Müllerin« publiziert.
Wie erfuhr Schubert von dem Gedichtzyklus?
Durch welchen Zufall Schubert an Müllers »Die Winterreise« geraten ist, ist ungeklärt. Als er im Februar 1827 die Lieder niederschrieb, kannte er nur die ersten zehn Gedichte der »Urania«-Ausgabe. Im Frühjahr dürfte ihn dann sein Freund Schober, bei dem er in dieser Zeit wohnte, auf die Gesamtausgabe aufmerksam gemacht haben, so dass schließlich im Oktober die restlichen Gedichte vertont wurden. Erst der zweite Teil ließ die Idee einer zyklischen Struktur reifen, was Korrekturen im ersten Teil und auch Umstellungen in der Abfolge notwendig machte. Ein Vergleich zwischen dem Gedicht- und dem Liederzyklus deckt die Unterschiede auf, lässt zudem auch Textänderungen erkennen.
Wovon handelt das Stück?
Von einer letzten Reise. Im Zentrum steht ein Topos der Romantik, Wandern und Wanderschaft, der auch Schubert immer wieder inspiriert hat: in der »Wandererfantasie« für Klavier, in Einzelliedern, im Zyklus der »Schönen Müllerin«. Wie in diesem Zyklus steht auch in der »Winterreise« die Wanderschaft als Sinnbild der menschlichen Existenz. Dieser Wanderer steht am Ende seines Lebens. Von der Liebe, vom Leben enttäuscht, erstarrt seine Seele. Ein Unbehauster reist ziellos durch eine Winterlandschaft, deren Kälte die Tränen frieren und den Schmerz starr werden lässt. Die Träume, an bessere Zeiten erinnernd, brennen sich umso heftiger ins Gemüt, je weniger die Sehnsucht gestillt werden kann. In der Resignation öffnet sich der Abgrund. Denn: »Unsre Freuden, unsre Leiden, alles eines Irrlichts Spiel!« Nie ist der Mensch so einsam wie an der Schwelle des Todes. Es gibt keine menschliche Wärme, keinen Trost. Und dann ist er da: der Tod, der »Leiermann«, der so schauerlich seine leeren Quinten schlägt. »Wunderlicher Alter, soll ich mit dir gehn? Willst zu meinen Liedern deine Leier drehn?«
War »Die Winterreise« das musikalische Vermächtnis des Komponisten?
Ja. Noch auf dem Sterbebett soll Schubert an den Korrekturen seiner »Winterreise« gearbeitet haben. Muss ihm nicht der erste Satz dieses Zyklus wie ein Resümee seines eigenen Lebens erschienen sein? »Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus.« Diese Musik durchdringt ohne allen äußeren Aufwand die gesamte Schmerzerfahrung der menschlichen Existenz.
Waren Dichter und Komponist Brüder im Geiste?
Das waren Wilhelm Müller, der Dichter, und der Komponist Schubert sicher. Begegnet sind sie sich nie. Dabei wünschte sich der Dessauer Redakteur, der im Hauptberuf literarische Periodika betreute, nichts sehnlicher als eine »gleichgestimmte Seele«, die seinen Gedichtzyklus vertonen würde. Als er 1827 starb, saß Schubert über der Komposition. Der Wunsch Müllers erfüllte sich, ohne dass er es ahnte.
War Franz Schubert ein verkanntes Genie?
Zu Lebzeiten sicherlich, erst die Nachwelt erkannte seine Größe. Schubert wurde am 31.1.1797 in Lichtental bei Wien geboren. 1808 wurde er Sängerknabe in der Hofkapelle, wo er Kompositionsunterricht erhielt und erste Werke schuf. Ab 1814 arbeitete er als Lehrer. Als sich die Lehrtätigkeit nicht mehr mit seiner Arbeit als Komponist vereinbaren ließ, versuchte er sich als Komponist zu etablieren, war aber häufig auf die finanzielle Unterstützung von Freunden angewiesen. 1825/26 entstand das Streichquartett d-Moll, anschließend das Streichquartett G-Dur, die Klaviersonate in G-Dur und die »Deutsche Messe«, sein bekanntestes Werk. Bereits sein nahes Ende ahnend, komponierte Franz Schubert 1827 den Liederzyklus »Winterreise«. Er starb am 19.11.1828 in Wien an Typhus.
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