Artikel 13
Die Farbigkeit des Gemäldes hat sich eingetrübt, denn das helle Gelb ist verschwunden, der Himmel wirkt wie tot, wie ein weißer Schleier, der auf die Landschaft drückt. Im Mittelgrund bilden hohe Gräser, wie sie in feuchtem Gelände gedeihen, eine unruhige Begrenzung, virtuos gemalt, scheinbar ohne jede Sorgfalt und doch genauestens das Schwanken der Halme, ihren unterschiedlichen Wuchs und ihre Dichte zeigend. Ein paar rote Tupfer sind an den Fuß der Gräser gesetzt, es könnten die Blüten von Klatschmohn sein, die sich im beherrschenden fahlen Grün verloren haben. Als malerischer Einfall dienen sie nicht nur der räumlichen Akzentuierung, sondern auch als optischer Halt inmitten der aufstrebenden grünen Farbstriche, die als Gras zu sehen sind. Vor diesen Hintergrund ist eine kompakte Anordnung aus Torso, Boot und Marmorplatte platziert. Der Körper scheint sich leicht auf die Bildgrenze hinzubewegen, was durch den Kahn dahinter verstärkt wird; denn der scheint in der Luft nach vorne zu fahren, ruhig wie ein Zeppelin. Festigkeit erhält diese emblematische Konstellation durch die fast quadratische, grob gemusterte Marmorfläche. Sie bietet Halt und Schutz. Ein Eindringen in diese Dreiergruppe ist unmöglich. Ein aktiver Mensch, der sich der Natur verbunden weiß, die auch ihre Gefahren birgt, wie das giftige Grün suggerieren mag, stützt sich auf Kultur und Zivilisation, versinnbildlicht durch Marmor und Boot. Aber in diesem Bild zeigt sich, dass das Idyllische, was bisher vorherrschend war, nicht unverletzlich ist. Von innen heraus kann es sich wandeln und es bedarf der Anstrengung und der Bündelung der Kräfte, um eine Zeit der Bedrohung glücklich durchzustehen.
Artikel 14
Es geschieht etwas Überraschendes; denn am linken Bildrand taucht ein Maler auf, zu erkennen daran, dass er einen Pinsel hält und ein kleines noch unfertiges Gemälde bearbeitet. Die Mode, nach der dieses Wesen gekleidet ist, verweist auf frühere Zeiten, z. B. in die Barockzeit des 17. Jahrhunderts. Ein Schlapphut sitzt auf seinem hellen Haar. Schnallenschuhe, knielange Hose und eine gewisse Verspieltheit der Linien, mit denen Lüpertz die Gestalt entworfen hat, weisen in die Vergangenheit. Wenn bedacht wird, wie oft die Idylle, die einen Raum der Geborgenheit und Gesittetheit verspricht, in den Bildern zu den Grundrechten die Grundstimmung bildete, dann lässt sich an den französischen Maler Nicolas Poussin denken, der häufig antike mythologische Szenen in heitere, idyllische Landschaften eingebunden hat. Dass Lüpertz diesen Meister, der die längste Zeit seines Lebens in Rom verbracht hat, besonders schätzt, bezeugen Bilder nach Motiven Poussins und Texte über diesen Vorgänger. Hier scheint Lüpertz mit Poussin zu verschmelzen; sein „alter ego“ ist ein Klassizist, der wie Lüpertz in seinem Bilderzyklus die Antike als die Epoche angesehen hat, in der die Grundlagen unserer Kultur gelegt wurden und die bis heute immer befragt und interpretiert werden kann. Diese Malergestalt bedeutet dem Betrachter aber auch, dass die Tradition nach wie vor lebendig ist und dass ein Maler von heute gültige Lösungen finden kann für die Energie des Klassischen. Dieses ist nichts Archäologisches, nicht totes Material, sondern kann belebt werden, wie Lüpertz dies am Beispiel der Statue des Lysippos zeigt. Aber unabhängig vom Ernst, der mit Traditionsbildung einhergeht, zeigt Lüpertz in dem Maler auch eine Prise Selbstironie, deshalb weicht der Stil der Figur so markant, ja witzig von der restlichen Komposition ab. Aber es schwingt noch etwas Weiteres mit; denn der Maler erschafft seine Sicht der Welt, die sein geistiges Eigentum ist. Seine Bildwelt ist jedoch für die Öffentlichkeit bestimmt; diese kann die Interpretation der Grundrechte durch den Künstler anschauen und diskutieren – zum Wohl der Allgemeinheit.
Artikel 15
Die Atmosphäre dieses Werkes wird durch zwei Veränderungen geprägt. Zum einen hat sich der Weg, der bisher eher geschmeidig in die Landschaft eingefügt war, zu einer scharfen Schneise gewandelt, die in rapider Perspektive wie ein spitzes Dreieck in die Tiefe des Raums führt. Zum anderen ist der Weg in der für die Natur seltsamen Farbe violett gefärbt, so dass etwas Unwirkliches ins Spiel kommt. Edvard Munchs Bildwelt scheint nicht so weit entfernt zu sein; denn auch das Gefühl von Einsamkeit und Verlorenheit liegt über der Szene. Torso und Kahn haben einen wenig greifbaren Realitätsstatus. Im Vergleich mit der Landschaft sehen sie aus wie Phantome, wie ein Spuk, der sich kurz in das Bild verirrt hat. Gegen die festgefügte Landschaft gibt es kein Ankommen; der breite Weg, eigentlich zu Bewegung und Fortschritt einladend, liegt im Rücken der Figur – unbeachtet und ohne Reiz. Eine Lösung scheint nur möglich zu sein, wenn das hermetische Terrain verlassen wird. Und was eben als Spuk empfunden wurde, kann auch als gedanklicher Sprung aus der Tristesse angesehen werden. Dann ist die Realitätsebene für Figur und Boot die Zukunft, weg aus der Behütetheit des Dorfes, das vielleicht auch zur Konformität zwingt und bei allem Schutz auch in seiner Enge bedrückend werden kann. Dort, wo alles erstarrt zu sein scheint, kann die Gesellschaft jedoch eingreifen, indem sie die Besitzverhältnisse neu regelt, produktive Bedingungen schafft und dem Wohl aller eine Basis schafft.
Artikel 16
Hinter kahlen Bäumen leuchtet die gelbe Giebelwand eines Hauses, links davon erscheint das dichte Grün eines Nadelbaumes, dann winterlich braunes Gras, auf dem Schneereste wie weiße Pfützen schwimmen. Der Betrachter erblickt nicht eine Landschaft, sondern ein Grundstück. Die antike Figur wurde dieses Mal in gräulichen bis schwarzen Schattierungen zur plastischen Erscheinung gebracht. Am Kopf erscheinen zwei kleine Auswüchse, die vielleicht die Flügel am Hut des Gottes Merkur sind, dann hätte der Künstler die Statue inhaltlich umgedeutet; oder es handelt sich um Andeutungen eines Siegerkranzes, den die Statue ursprünglich möglicherweise einmal getragen hat. Wenn Merkur gemeint sein sollte, steht diese schillernde antike Göttergestalt als Unternehmungsgeist. Aber die Jahreszeit ist nicht ideal, das Boot liegt wie ein unbeweglicher Klotz. Der Winter ist ein stets wiederkehrendes Naturereignis, das Handel und Wandel nur temporär etwas anhaben kann. Dominant prägt den Bildeindruck die ocker-gelbe Hausfront, die von einem hellbraunen Holzton begrenzt wird. Die Geborgenheit, die in dieser Farbkonstellation anklingt, strahlt in die winterliche Szene hinein. Wer hier wohnt, ist ein Bürger mit Eigentum und Rechten, die ihm nicht entzogen werden können und die er produktiv nutzen kann.