Vierte und Fünfte Republik
In der 1946 errichteten Vierten Republik gingen die Niederlage im Indochinakrieg (1946–1954) und die Verluste von Marokko und Tunesien mit innenpolitischen Konflikten einher. 1957 trat das Land als Gründungsmitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bei. Der vergebliche Kampf gegen den Aufstand der Algerier führte 1958 zur Bildung der Fünften Republik, dessen erster Präsident Charles de Gaulle (1959–1969) wurde.
De Gaulle wollte Frankreich zu einer unabhängigen Großmacht machen und suchte einen dauerhaften Ausgleich mit dem einstigen Kriegsgegner (Deutsch-Französischer Vertrag 1963). Seinen außenpolitischen Anspruch unterstrich de Gaulle 1966 mit dem Rückzug aus der militärischen Organisation der NATO. Nach den Studentenunruhen 1968 und einem verlorenen Referendum trat der Präsident 1969 zurück. Im Amt des Staatspräsidenten folgten ihm der Gaullist Georges
Pompidou (1969
–1974) und der Republikaner Valéry
Giscard d’Estaing (1974
–1981). 1981 wurde erstmals in der Fünften Republik mit dem Sozialisten F.
Mitterrand ein Vertreter der Linken Präsident, dessen Politik auf eine Einigung Europas im Rahmen der EU hinzielte.
Studenten und Arbeiter im Kampf gegen das gaullistische System
Studenten und Arbeiter im Kampf gegen das gaullistische System
Die linksgerichteten Parteien in Frankreich formulieren am 15. 5. 1968 einen Tadelsantrag gegen die Regierung. Sie geben ihrer mangelnden Reformbereitschaft und der restriktiven Wirtschaftspolitik die Schuld an den Massenprotesten in Frankreich. Am 21./22. 5. wird der Antrag vor der Nationalversammlung beraten und nur knapp abgelehnt.
10 Jahre nach seiner Machtübernahme hat das gaullistische Regime, indem es jeden wahren Dialog verweigerte, Studenten, Lehrpersonal, Bauern, Arbeiter, junge Arbeitslose gezwungen, auf Straßenmanifestationen außergewöhnlichen Umfangs zurückzugreifen. Opfer eines Universitätssystems, das nicht den Bedürfnissen des modernen Lebens entspricht und dem die Regierung die Mittel zur Reform verweigert, revoltieren die Studenten und ihre Lehrer mit ihnen. Sie denunzieren die Erkranktheit der Gesellschaft durch die Malaise der Universität. Auf ihre Beunruhigung, die insbesondere das Ungenügen der Gegebenheiten zum Studienabschluß rechtfertigen, hatte die Regierung keine andere Antwort als die Schließung der Sorbonne und polizeiliche Unterdrückungsmaßnahmen von unerhörter Brutalität. Landwirte, Arbeiter und die Gesamtheit der Werktätigen werden durch eine wirtschaftliche Rezessionspolitik hart getroffen, die die ersteren zum Exodus und alle zur Unterbeschäftigung und zu einer Herabsetzung ihres Lebensstandards verurteilt. Darüber hinaus ist die Lage der Angestellten durch die Regierungsanordnungen erschwert, die die soziale Sicherheit abgebaut haben. Eine ständig wachsende Anzahl junger Menschen wird arbeitslos, ehe sie eine Arbeit gehabt hat. Diese gemeinsame Angst von Millionen Franzosen ist die Verurteilung einer konservativen Gesellschaft, die lediglich auf der Suche nach Profiten gründet und die auf den immer klarer ausgedrückten Willen zur Förderung neuer politischer und menschlicher Werte nicht mehr antworten kann. In der Erwägung, dass das zögernde Zurückweichen der Regierung vor dem Unwillen der öffentlichen Meinung ihre Verantwortlichkeit während 10 Jahren nicht vergessen machen kann, tadelt die Nationalversammlung die Regierung ..."
1995 folgte der Neogaullist Jacques
Chirac Mitterrand im Präsidentenamt. Seine erste Amtszeit wurde von Affären und Spannungen mit dem sozialistischen Premier Lionel
Jospin überschattet. Bei den Präsidentschaftswahlen 2002 erreichte der rechtsextreme Jean-Marie
Le Pen überraschend die Stichwahl, bei der sich Chirac jedoch mit klarer Mehrheit durchsetzte. Neuer Premier wurde der rechtsliberale Jean-Pierre
Raffarin. Die kritische Position Frankreichs im Irakkonflikt führte 2002/03 zu Spannungen mit den USA. Die Innenpolitik wurde von Auseinandersetzungen über Sozialreformen bestimmt. Die Ablehnung des Europäischen Verfassungsvertrages in einem Referendum brachte die Regierung 2005 in Bedrängnis. Chirac berief Dominique de
Villepin zum neuen Premierminister. Soziale Spannungen in den Vororten
(banlieues) der großen Städte eskalierten Ende 2005 und 2006 in gewalttätigen Jugendkrawallen.
Bei den Präsidentschaftswahlen 2007 konnte sich Nicolas
Sarkozy, Kandidat der Regierungspartei UMP, im Stichentscheid gegen die Sozialistin Ségolène
Royal durchsetzen. François
Fillon (UMP) wurde zum neuen Premierminister berufen. Die UMP behauptete bei den Parlamentswahlen 2007 die absolute Mehrheit der Mandate. Eine Verfassungsreform 2008 stärkte die Rechte des Parlaments zulasten des Präsidenten. Zur Bekämpfung der Finanzmarktkrise stellte die Regierung 2008/09 umfangreiche Liquiditätshilfen zur Verfügung. Am 9. 11. 2010 trat trotz wochenlanger Proteste von Opposition und Gewerkschaften eine Rentenreform in Kraft, die das Renteneintrittsalter von 60 auf 62 Jahre anhob. Nach den Senatsteilwahlen am 25. 9. 2011 stellten die linken Parteien erstmals in der Fünften Republik die Mehrheit in der zweiten Parlamentskammer. In der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen am 6. 5. 2012 konnte sich der Sozialist François Hollande (*
1954) gegen Amtsinhaber Sarkozy durchsetzen.