Schon lange vor seiner Veröffentlichung ist der Roman wie kein anderer verrissen worden: “Tod eines Kritikers“ - eine willkommene Einladung zur Medienschelte. Doch zu viele Rezensenten lassen sich von den kaum zu haltenden Antisemitismus-Vorwürfen blenden. Dabei ist Martin Walsers Roman in erster Linie eine gelungene Persiflage des deutschen Literaturbetriebs und behandelt in zweiter Linie sensibel die Einsamkeit eines gescholtenen Autors.
Befangen durch Pseudodiskussion
Leser des neuen Martin Walser-Romans Tod eines Kritikers haben ein handfestes Problem: Die Debatte um die mutmaßlich antisemitischen Züge des Romans haben eine Pseudodiskussion um ein Buch Wochen vor seiner Veröffentlichung entfacht. Das Schlimme daran: Jetzt, wo der Roman endlich in den Buchregalen steht und bereits vergriffen ist, liegt das Augenmerk des Lesers zuerst einmal bei ebendieser Diskussion. Hat sich Martin Walser nun antisemitischer Klischees bedient oder nicht? Immerhin kam der Vorwurf nicht von irgendwem, sondern von FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, der seinem Entsetzen über den Text in seinem Brandbrief “Ihr Buch ist nichts anderes als eine Mordphantasie“ Luft machte. Genau darauf ist die Rezeption des vorliegenden Werkes nun ausgerichtet, wie das erste Presseecho beweist.
Das Desaster ist damit perfekt: Eine ernsthafte literaturwissenschaftliche Diskussion ist von vornherein ad absurdum geführt - der Roman, wie auch zum Gutteil der Autor, sind a priori beschädigt. Die Tatsache, das Manuskript eines unveröffentlichten Romans - sei er noch so schlecht, noch so diskutabel - mehr als einen Monat vor dem Erscheinungstermin in einem offenen Brief in der renommierten FAZ abzulehnen, zu verreißen, ja ihn als “Dokument des Hasses“ zu brandmarken, ist ein beispielloser Vorgang in der deutschen Literaturgeschichte.