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Wie funktioniert eigentlich Erben?
101,4 Milliarden Euro – so viel Geld haben die Deutschen im Jahr 2023 laut dem Statistischen Bundesamt vererbt oder verschenkt. Von dieser Summe könnte man sich knapp eine halbe Million Häuser kaufen. Das Thema Erben betrifft viele von uns: Etwa die Hälfte der Deutschen hat bereits eine Erbschaft gemacht oder erwartet, in den nächsten Jahrzehnten Geld oder Eigentum von seinen Verwandten zu erhalten.
Wie hält man seinen letzten Willen fest?
Theoretisch können bereits 16-jährige in Deutschland ein Testament aufsetzen und so ihre zukünftigen Erben bestimmen. Und das sogar ganz allein in seinem Kinderzimmer. Damit ein selbstverfasstes Testament gültig ist, muss es nur zwei Kriterien erfüllen: Es muss vollständig handschriftlich verfasst und unterschrieben sein. Ein solcher komplett formloser letzter Wille ist allerdings selten.
Stattdessen lassen sich über 80 Prozent aller Erblasser zu ihrem Testament beraten. Ein Anwalt oder Notar kann den letzten Willen aufschreiben oder ein selbstverfasstes Testament überprüfen. Dieser Service hat aber natürlich seinen Preis. Die Kosten orientieren sich an der vererbten Summe – bei einem Erbe von 10 000 Euro beläuft sich diese auf etwa 75 Euro.
Vielleicht auch wegen dieser Kosten scheinen sich viele Menschen nicht gerne um den Verbleib ihres Eigentums zu kümmern. „Nur 39 Prozent aller potenziellen Erblasser haben bereits ein Testament gemacht“, berichtet Christoph Blumental von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. „Dabei hat ein Viertel das Testament vor ihrem 50. Geburtstag verfasst, ein weiteres Viertel im Alter von 50 bis unter 60 Jahren und 32 Prozent waren 60 bis unter 70 Jahre alt, als das Dokument erstellt wurde.“
Was besagt die gesetzliche Erbfolge?
Wenn kein letzter Wille festgehalten wurde und kein gültiges Testament existiert, regelt die sogenannte „gesetzliche Erbfolge“ die Verteilung der hinterlassenen Besitztümer. Bei Ehepaaren mit bis zu zwei Kindern teilen sich die Kinder eine Hälfte es Erbes, die andere Hälfte geht an den Ehepartner. Wenn der Verstorbene keine Kinder oder Ehepartner hat, kommen die Erben „zweiter Ordnung“ zum Zuge: die Eltern und Geschwister sowie Nichten und Neffen. Danach wären die Großeltern oder die Onkel und Tanten des Erblassers an der Reihe.
„Dieses Ergebnis entspricht allerdings oft nicht der Lebensrealität“, bemerkt Benjamin Karras von der Hamburgischen Notarkammer. Denn besonders Eheleute teilen oft ihren Besitz, wie zum Beispiel ein gemeinsames Haus. Diese Besitztümer sollten eigentlich sinnvollerweise zuerst komplett an den noch darin lebenden Ehepartner übergehen und erst nach dem Tod beider Ehepartner an die Kinder oder anderen Erben vermacht werden.
Warum gibt es in Patchworkfamilien oft Erbprobleme?
Und wie ist es mit komplexeren, moderneren Familienkonstellationen wie etwa Patchwork-Familien, in denen mindestens einer der beiden Partner ein oder mehrere Kinder aus einer früheren Beziehung in die Familie eingebracht hat? „Fehlt in dieser Konstellation ein Testament, kann dies im Erbfall zu einer gravierenden Abweichung von der eigentlich gewollten Rechtsfolge führen“, so Markus Baschnagel von der Notarkammer Baden-Württemberg.
Hat ein Ehepaar etwa jeweils ein Kind in die Ehe gebracht, beispielsweise der Mann einen Sohn und die Frau eine Tochter, wird das Kind des länger lebenden Partners bevorzugt. Das liegt an der Erbreihenfolge: Stirbt der Ehemann beispielsweise zuerst, erben sein Sohn und seine Ehefrau zu gleichen Teilen – jeder die Hälfte vom Besitz. Verstirbt später die Ehefrau, erbt dann allerdings ihre Tochter ihren kompletten Anteil.
Nun gehört der Besitz des Ehemannes also zur Hälfte dessen leiblichem Sohn und zur anderen Hälfte dessen Stieftochter. Das Erbe der Ehefrau geht nach ihrem Ableben hingegen komplett in den Besitz ihrer Tochter über. „Das zeigt, dass die gesetzlich vorgesehene Nachlassbeteiligung von Kindern in Patchwork-Konstellationen von Zufällen abhängen kann, insbesondere von der Reihenfolge des Versterbens der Ehegatten“, so Baschnagel.
Beratung für das Testament erspart Ärger
„Viele Menschen unterschätzen, wie kompliziert Erbangelegenheiten sein können“, erklärt Karras. „Ein gut durchdachtes Testament kann viele Probleme von vornherein vermeiden und Angehörigen später schwierige Entscheidungen ersparen.“ Karras hält es deswegen für das Beste, sich schon zu Lebzeiten von einem Notar beraten zu lassen.
Der hätte eventuell auch eine Lösung für das „Patchwork-Problem“: Beim sogenannten „Berliner Testament“ setzen sich Partner gegenseitig zu Alleinerben ein und bestimmen, wer nach deren Tod den verbleibenden Nachlass erhält – oft die verbleibenden Kinder. „Für viele Familien ist dies eine wirtschaftlich sinnvolle und auch zwischen den Generationen weithin akzeptierte Gestaltung“, berichtet Karras. Aus diesem Grund ist diese Variante auch viel genutzt: Fast zwei Drittel der Testamente sind „berlinerisch“.