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Sowjtunion

Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR), der von Lenin 1922 gegründete und bis 1991 bestehende kommunistische Staat; 22,4 Millionen km2 und rd. 284,4 Millionen Einwohner (1991). Hauptstadt war Moskau. Die ehemaligen Sowjetrepubliken wurden 1991 selbständige Staaten.

Politisches System

In den politischen Strukturen des Sowjetstaates gab es eine Konstante: die Alleinherrschaft der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU; so nannte sie sich nach mehreren Namenswechseln seit 1952). Ihr Organisationsprinzip war der „demokratische Zentralismus“: Einerseits wurden die Parteiorgane von unten nach oben gewählt, anderseits herrschte strikte Parteidisziplin; die Beschlüsse der oberen Organe waren für die unteren unbedingt bindend, und Minderheiten mussten sich der Mehrheit unterordnen. Das zentralistische Element war von Anfang an vorherrschend, das demokratische konnte sich aber zunächst noch in offenen Diskussionen, Gruppenbildungen und Kampfabstimmungen äußern. Die schon von Lenin eingeleitete Entwicklung zu einem starren System wurde von Jossif Stalin vollendet. Um die Mitte der 1930er Jahre hatte die Partei die Gestalt angenommen, die sie bis in die 1980er Jahre beibehielt.
Die Mitgliedschaft in der KPdSU war in der Regel Voraussetzung für jede höhere Karriere. Sie war nicht durch einfachen Beitritt zu erlangen, sondern nur durch Beschluss einer Parteiorganisation nach Ableistung einer Kandidatenzeit. Nach dem Statut war der Parteitag, der alle fünf Jahre zusammentrat, das höchste Parteiorgan; tatsächlich war er eine bloße Schauveranstaltung. Das formal von ihm gewählte Zentralkomitee (ZK), das mehrere hundert Mitglieder zählte, besaß ebenfalls keine realen Machtbefugnisse. Die tatsächliche Parteileitung lag bei zwei Ausschüssen des ZK: Das Politbüro (19521966 Präsidium genannt) war für die politische, das Sekretariat für die organisatorische Leitung zuständig, doch waren die Kompetenzen nicht deutlich abgegrenzt, und es gab auch personelle Überschneidungen. Das Politbüro traf alle wesentlichen Entscheidungen. Den Vorsitz in beiden Gremien führte der Generalsekretär (19531966 Erste Sekretär) des ZK. Er war der maßgebende Politiker des Landes und bekleidete meist neben dem Parteiamt auch eines der höchsten Staatsämter. Formal war er nur Erster unter Gleichen; er hatte jedoch eine nahezu diktatorische Machtfülle. Die Parteiorgane waren auf allen Ebenen den Staatsorganen übergeordnet.
Die Parteiführer der Kommunistischen Partei
Wladimir Lenin (ohne formelles Amt)19121924
parteiinterne Machtkämpfe19241929
Jossif Stalin (seit 1922 Generalsekretär)19291953
Nikita Chruschtschow (Erster Sekretär)19531964
Leonid Breschnew (Erster Sekretär, 1966 Generalsekretär)19641982
Jurij Andropow (Generalsekretär)19821984
Konstantin Tschernenko (Generalsekretär)19841985
Michail Gorbatschow (Generalsekretär)19851991
Der Parteiapparat umfasste mehrere hunderttausend Personen. Für jedes Aufgabengebiet der Staatsverwaltung gab es eine parallele Abteilung im Parteiapparat. Über die Besetzung wichtiger Posten in Behörden, Verbänden, Betrieben und kulturellen Einrichtungen entschieden nach dem sog. Nomenklatursystem die zuständigen Parteiorgane.
Der Staatsaufbau der Sowjetunion erlangte mit der Verfassung von 1936 seine endgültige Gestalt. Im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen von 1918 und 1924, die noch „revolutionäre“ Züge trugen, bot diese Verfassung formal das Bild eines demokratischen Staates mit gleichen Rechten für alle Bürger. Die wirklichen Machtverhältnisse deutete sie immerhin an, indem sie die KPdSU als „leitenden Kern aller Organisationen der Werktätigen“ erwähnte. Eine neue Verfassung, die 1977 in Kraft trat, änderte nichts Wesentliches am System. Sie bezeichnete die KPdSU etwas deutlicher als „führende und lenkende Kraft der sowjetischen Gesellschaft“.
Nach der Verfassung hatte die UdSSR eine bundesstaatliche Ordnung. Sie bestand (seit 1940) aus 15 Unionsrepubliken. Innerhalb der Republiken gab es für kleinere Nationalitäten autonome Republiken, Gebiete und Kreise. Jede Republik hatte ein eigenes Parlament und eine eigene Regierung, die aber faktisch ausführende Organe der Moskauer Zentrale waren.
Die parlamentarischen Körperschaften auf allen Ebenen von der Union bis zum Dorf führten die traditionelle Bezeichnung Sowjet (Rat), die auch in den Staatsnamen eingegangen war. Bei Wahlen kandidierte allein die Einheitsliste „Block der Kommunisten und Parteilosen“, die stets rd. 99 % der Stimmen erhielt.
Formal höchstes Staatsorgan und Gesetzgeber war der Oberste Sowjet der UdSSR, bestehend aus zwei Kammern, dem Unionssowjet und dem Nationalitätensowjet. Er trat nur zweimal jährlich zusammen und billigte einstimmig bereits getroffene Entscheidungen. Zwischen den Sitzungsperioden vertrat ihn sein Präsidium, das zugleich als kollektives Staatsoberhaupt fungierte. Die Regierung der Sowjetunion, der Ministerrat (bis 1946 Rat der Volkskommissare), hatte rd. 100 Mitglieder.
Die Gerichtsbarkeit umfasste mehrere Stufen von den Volksgerichten bis zum Obersten Gericht. Die in der Verfassung garantierte Unabhängigkeit der Richter war nicht gegeben, da die Gerichte wie die anderen Staatsorgane dem Willen der KPdSU unterworfen waren.
Die Verfassung garantierte den Bürgern die klassischen Freiheitsrechte, aber durchweg unter dem Vorbehalt ihrer Ausübung im Einklang mit dem bestehenden totalitären Herrschaftssystem.
Außerhalb aller Gesetze wirkten die Staatssicherheitsbehörden der UdSSR. Sie waren nur der obersten Parteiführung verantwortlich.
Grundlegende Veränderungen im politischen System vollzogen sich erst seit 1988 auf Initiative von Michail Gorbatschow. Durch Verfassungsänderung wurde als neues höchstes Staatsorgan ein Kongress der Volksdeputierten mit 2250 Abgeordneten geschaffen. Je 750 Abgeordnete wurden in nationalen und territorialen Wahlkreisen gewählt, weitere 750 von „gesellschaftlichen Organisationen“ entsandt (100 von der KPdSU). Bei den Wahlen, die erstmals 1989 stattfanden, bestand erstmals die Auswahl unter mehreren Kandidaten. Der auf fünf Jahre gewählte Kongress sollte sich nur mit Grundsatzfragen befassen. Als Arbeitsparlament wählte er einen Obersten Sowjet mit 442 Abgeordneten. Durch eine weitere Verfassungsänderung wurde 1990 ein Präsidialsystem eingeführt. Der mit umfangreichen Vollmachten ausgestattete Präsident der UdSSR wurde vom Volksdeputiertenkongress gewählt, sollte aber künftig durch direkte Volkswahl bestimmt werden. Im gleichen Jahr wurde die Führungsrolle der KPdSU aus der Verfassung gestrichen. Ein neuer Unionsvertrag, der den Republiken weit gehende Selbständigkeit sichern sollte, kam wegen der Auflösung der Sowjetunion 1991 nicht mehr zustande.

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