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Warum wir Negatives eher anklicken als Positives

Das Internet wimmelt nur so von provokanten Schlagzeilen. Doch was bewegt uns dazu, ausgerechnet den einen Artikel anzuklicken und andere links liegen zu lassen? Dass Drama, Konflikte und Katastrophen besonders gut ziehen, ist bekannt. Doch offenbar fühlen wir uns auch schon von negativen Worten in einer Schlagzeile angezogen, selbst wenn es in dem Artikel eigentlich um etwas Positives geht. Wissenschaftler haben jetzt genau ermittelt, wie viel häufiger eine Schlagzeile mit negativen Begriffen angeklickt wird – und wie viel seltener eine mit positiven.
AMA, 20.03.2023
Symbolbild Nachrichten

© Tero Vesalainen, GettyImages

Unter englischsprachigen Zeitungsmachern hat sich der Spruch „If it bleeds, it leads“ etabliert. Grob übersetzt: Geschichten über Blutvergießen, Verbrechen und Tragödien verkaufen mehr Zeitungen als Geschichten über gute Nachrichten. Doch im Zeitalter des Internets geht es längst nicht mehr darum, eine komplette Zeitungsausgabe zu verkaufen, sondern darum, mit einzelnen Artikeln ordentlich Klicks zu generieren. Wie Marktschreier müssen Journalisten ihre Geschichten nun mit provokanten Schlagzeilen versehen, um die Aufmerksamkeit der Leser zu bekommen. Für sie ist es daher von besonderem Interesse, welche Formulierungen gut ziehen und welche nicht.

Vier Schlagzeilen, ein Artikel

Upworthy.com ist ein amerikanisches Nachrichtenportal, das seinen Fokus auf positive Geschichten legt. Um diese möglichst gut zu verkaufen, hat die Webseite in den vergangenen Jahren viel mit ihren Schlagzeilen herumexperimentiert. Teilweise veröffentlichte das Portal ein und denselben Artikel unter vier verschiedenen Überschriften und beobachtete, welche Variante am besten geklickt wurde.

Wissenschaftler um Claire Robertson von der New York University haben sich diese Experimentierfreude nun zunutze gemacht und sie als Datenbasis für eine groß angelegte Studie genutzt. Das Forschungsteam hat mehr als 105.000 Upworthy-Schlagzeilen analysiert, die insgesamt zu über 370 Millionen Klicks auf der Webseite geführt hatten. Das Ziel: herausfinden, wie sich emotionale Sprache, also etwa positive oder negative Schlagwörter, auf die Klickzahlen auswirken.

Negative Begriffe steigern die Klickzahlen

Das Ergebnis: Bei einer Schlagzeile von durchschnittlicher Länge erhöht jedes zusätzliche negative Wort die Klickrate um 2,3 Prozent. Dabei reichen sogar schon relativ harmlose Wörter wie „falsch“, „schlecht“ oder „furchtbar“. So wurde zum Beispiel die Schlagzeilen-Variante „Wenn Ihnen die Zahlen 4 und 20 etwas bedeuten, werden Sie diesen Scheiß hören wollen“ deutlich besser geklickt als „Er erklärt, warum die Frage ‚Was rauchst du?‘ eigentlich ziemlich wichtig ist“ – und das, obwohl sich hinter beiden exakt derselbe Artikel verbarg. Doch das negative Schlagwort „Scheiß“ reichte offenbar bereits aus, damit sich die meisten Leser für Variante eins entschieden.

Diese Tendenz besteht auch umgekehrt, wie Robertsons Team herausgefunden hat. Demnach sorgen positive Schlagworte für weniger Klicks. Ein einziges positives Wort in der Schlagzeile lässt die Klickzahl um ein Prozent sinken. Zu den positiven Wörtern zählen etwa „Liebe“, „ziemlich“ und „schön“. Auch emotionale Schlagzeilen, die Freude vermitteln, werden seltener geklickt. Traurigkeit hingegen kommt bei den Lesern offenbar deutlich besser an. Bei Wut gibt es keine eindeutigen Ergebnisse.

Warum wir negative Schlagzeilen besser finden

Doch warum ist das so? Wieso mögen wir negative Schlagzeilen lieber als positive? „Die Tendenz von Menschen, sich mit negativen Nachrichten zu beschäftigen, spiegelt etwas Grundlegendes der menschlichen Kognition wider – dass Menschen in vielen Bereichen bevorzugt auf negative Reize achten“, erklären Robertson und ihre Kollegen. Das sei bereits im Kindesalter so und bleibt uns auch als Erwachsene erhalten. Evolutionär betrachtet ist es tatsächlich durchaus sinnvoll, bevorzugt auf Negatives zu achten. Wenn unser steinzeitlicher Vorfahre eine schöne Blume bewundert, dafür aber die Säbelzahnkatze im Gebüsch übersehen hat, konnte das übel für ihn ausgehen. Da es bei negativen Reizen eher um Leben und Tod geht als bei positiven, gewichten wir Negatives meist stärker. Und diese Tendenz zeigt sich in der Moderne eben auch bei der Auswahl von Online-Nachrichten.

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