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Warum Geschlechtskrankheiten wieder häufiger werden

„Gib AIDS keine Chance“ – diese Werbung prangte früher an zahlreichen Bushaltestellen, Hauswänden und Litfaßsäulen. Doch während der HIV-Schutz immer zuverlässiger wird, steigen die Fallzahlen von anderen Geschlechtskrankheiten wie Syphilis, Tripper und Chlamydien in letzter Zeit an. Was ist der Grund für diesen bedenklichen Trend? Unter welchen Beschwerden leiden die Erkrankten? Und wie lässt sich eine Ansteckung am besten verhindern?
THE, 04.09.2024
Symbolbild Geschlechtskrankheiten

© Pornpak Khunatorn, iStock

17,2 Jahre – das ist das Durchschnittsalter, mit dem Jugendliche in Deutschland ihr erstes Mal erleben. Der erste Sex ist ein aufregender Moment voller Neugier, ein bisschen Nervosität und Schmetterlingen im Bauch. Doch bei der ganzen Aufregung darf weder beim ersten noch beim zweiten und am besten auch beim 20-ten Mal eines nicht fehlen: das Kondom.

Safer Sex bleibt relevant

Selbst wenn beim Sex andere Verhütungsmittel wie die Antibabypille im Spiel sind, ist der zusätzliche Schutz durch das Kondom wichtig, wie auch Andrea Ammon, Leiterin der EU-Gesundheitsbehörde (ECDC), erklärt. Denn Kondome sind nicht nur zur Verhütung von Schwangerschaften da. Sie verhindern auch die Übertragung von Geschlechtskrankheiten, wie AIDS, Tripper oder Syphilis. „Die Förderung einer konsequenten Verwendung von Kondomen kann dazu beitragen, die Übertragungsraten zu senken“, so Ammon.

In den letzten Jahren hat sich die AIDS-Prävention allerdings deutlich verbessert. Dank der Prä-Expositions-Prophylaxe, kurz PrEP ist selbst bei „unsafem“ Sex mit einem HIV-infizierten Partner eine HIV-Übertragung nicht mehr möglich. Nehmen nicht infizierte, HIV-negative Personen diese antiviralen Medikamente vor dem Sex, kann sich das Virus in ihnen nicht vermehren und sie sind vor Ansteckung geschützt.

Sexuell übertragbare Krankheiten werden mehr

Doch die Fortschritte in der HIV-Vorbeugung haben eine Schattenseite: Ohne die Bedrohung durch AIDS nutzen weniger Menschen beim Sex Verhütungsmittel wie Kondome oder Lecktücher – und stecken sich infolgedessen mit anderen Geschlechtskrankheiten an. Das schlägt sich auch in den Fallzahlen nieder: So registriert die europäische Seuchenbehörde ECDC einen besorgniserregenden Anstieg der Sexuell übertragbaren Infektionen (STI) , darunter auch die klassischen Geschlechtskrankheiten Syphilis, Tripper und Chlamydien. Konkret stiegen die gemeldeten Tripper-Fälle im Jahr 2022 um 48 Prozent, die Syphilis-Fälle um 34 Prozent und die Chlamydien-Fälle um 16 Prozent an. „Die Bewältigung des erheblichen Anstiegs von STI-Fällen erfordert dringend Aufmerksamkeit und gemeinsame Anstrengungen“, kommentiert Ammon.

Im Falle von Syphilis und Tripper sind besonders Männer betroffen. Genauer gesagt Männer, die mit Männern schlafen. Doch auch insgesamt steckten besonders seit Ende der Pandemie immer mehr Menschen mit Tripper, Syphilis und Chlamydien an. Eine Erklärung für diesen Trend: In den letzten Jahren nutzen immer mehr Menschen Online-Dating-Plattformen, wie Grindr, Tinder oder OkCupid. Die Dating-Apps ermöglichen es, unverbindlich die Sexualpartner zu wechseln und sich so unter Umständen auch Geschlechtskrankheiten einzufangen oder sie weiterzuverbreiten.

Buntes Kondomsortiment
Kondome dienen nicht nur zur Verhütung, sondern bieten auch Schutz vor vielen sexuell übertragbaren Infektionen (STI) und ihren Folgen.

© joecicak, iStock

Die Folgen: Fieber, Unfruchtbarkeit und sogar der Tod

Infizierte Personen können die Krankheiten auch unbemerkt weitergeben. Chlamydien verursachen bei etwa drei Viertel der infizierten Frauen und der Hälfte der infizierten Männer keine Symptome. Und auch Tripper verläuft häufig symptomfrei. Aus diesem Grund ist die Botschaft „Wenn’s juckt oder brennt, dann bitte zum Arzt“ einer Kampagne des Bundesamts für Gesundheiteher irreführend. „Die Aussage ist nicht grundsätzlich falsch, aber sie ist auch nicht ganz korrekt“, so Dominique Braun, Oberarzt im Universitätsspital Zürich.

Doch wenn man die Krankheiten wegen fehlender Symptome nicht frühzeitig erkennt und behandelt, können Chlamydien und Tripper durchaus zu ernsthaften gesundheitlichen Komplikationen führen. Frauen leiden infolge der Geschlechtskrankheiten häufig an Beckenentzündungen, welche im späteren Verlauf zu Unfruchtbarkeit oder Eileiterschwangerschaften führen. Bei Männern weiten sich unbehandelte Infektionen auf die Hoden und die Prostata aus und machen teilweise auch unfruchtbar.

Syphilis hingegen kann sogar tödlich enden, zeigt sich aber an deutlichen Symptomen. Häufig entdeckt man an den Genitalien zuerst ein einzelnes schmerzloses Geschwür, das aber von allein wieder abheilt. Später können Fieber oder geschwollene Lymphknoten auftreten. Doch auch bei Syphilis gibt es zwischendurch lange symptomfreie Phasen, so dass die Erkrankten fälschlicherweise denken, sie seien geheilt. Wird die Krankheit nicht behandelt, führt Syphilis nach einigen Jahren jedoch zu Organschäden am Herzen oder Hirn. Die Folgen: Lähmungen, Demenz und sogar der Tod.

„Für STI ist man nie zu alt“

Der Anstieg der STIs betrifft nicht nur junge Erwachsene, sondern auch die Altersgruppe der über 50-jährigen Männer und Frauen. Ein Risiko, das häufig übersehen wird. „Sexualität im Alter ist in unserer Gesellschaft noch immer ein Tabuthema – mit dramatischen Konsequenzen, wenn man sich die Zahlen zu sexuell übertragbaren Infektionen ansieht“, so Norbert Brockmeyer, Präsident der Deutschen STI Gesellschaft.

Eine Studie aus dem Jahr 2019 kam jedoch zu dem Schluss, dass fast ein Drittel der 60- bis 80-Jährigen nach eigenen Angaben häufiger sexuell aktiv sind als der Durchschnitt der 20- und 30-Jährigen. Die Gründe für mehr ungeschützte sexuelle Aktivität im Alter liegen laut Brockmeyer dann daran, dass die Menschen sich sicher vor STI fühlen und bei postmenopausalen Frauen das Thema ungewollte Schwangerschaft keine Rolle mehr spielt.

Das hat Folgen. Untersuchungen aus den USA zeigen beispielsweise, dass sich die Zahl der Geschlechtskrankheiten im letzten Jahrzehnt bei den 55- bis 64-Jährigen verdoppelt hat. Der Anteil der an Syphilis erkrankten „Älteren“ steigt auch in Deutschland. Wurden 2013 bei den über 60-Jährigen noch etwa 326 Fälle gemeldet, so waren es in derselben Gruppe 2023 bereits 930 Fälle. „Für STI ist man nie zu alt“, kommentiert Julia Welzel, Präsidentin der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft.

Safer Sex und Sex Education

Aus diesem Grund geht das Thema Geschlechtskrankheiten alle an. „Bildungs- und Aufklärungsinitiativen sind entscheidend, um Menschen in die Lage zu versetzen, fundierte Entscheidungen über ihre sexuelle Gesundheit zu treffen. Die Förderung des konsequenten Gebrauchs von Kondomen und die Förderung eines offenen Dialogs über STIs können dazu beitragen, die Übertragungsraten zu senken“, so Ammon. Auch eine offene und ehrliche Kommunikation über sexuelle Gesundheit mit Partnern trägt dazu bei, das Risiko einer STI-Übertragung zu verringern.

Tests auf Tripper, Chlamydien und Co, insbesondere bei Personen mit neuen oder mehreren Sexualpartnern, sind für die frühzeitige Erkennung und rechtzeitige Behandlung wichtig. Auch, weil diese Infektionen sonst unbemerkt immer weiter übertragen werden. Wenn jemand vermutet, dass er sich mit einer STI angesteckt haben könnte, sollte er sofort ärztlichen Rat einholen. Denn eine rechtzeitige Behandlung ist entscheidend, um eine weitere Übertragung und mögliche Komplikationen der Krankheit zu verhindern.

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