wissen.de Artikel
Zähnekriegen macht nicht krank!
"Dass das Zahnen die Kinder krank macht, ist ein Aberglaube, der sich seit Jahrhunderten hartnäckig hält", sagt Berthold Koletzko von der Stiftung Kindergesundheit. Doch es sind nicht immer die durchbrechenden Zähne, die dem Nachwuchs Fieber und andere Leiden bescheren. Das gemeinsame Auftreten beider Phänomene ist oft nur ein Zufall.
"Genau dann, wenn das Baby zu zahnen beginnt, lassen die von der Mutter mitgegebenen Abwehrkräfte - der sogenannte Nestschutz - nach. Das Kind wird anfälliger für Infektionen. Auch die Umstellung von Muttermilch auf Flaschenmilch oder festere Nahrung, die meistens in diese Zeit fällt, kann den Organismus des Babys belasten. Das kann auch schon mal die Körpertemperatur ansteigen lassen", erklärt der Mediziner.
Mit sieben Monaten geht es los
Im Schnitt vergehen nach der Geburt rund sieben Monate, bis ein Baby seinen Eltern zum ersten Mal einen Zahn zeigt: in aller Regel beginnend mit den unteren Schneidezähnen. Meist dauert es dann noch einen weiteren Monat, bis das Kind einen weiteren Zahn zulegt. Danach geht es aber Zahn auf Zahn: Nachdem auch die oberen Schneidezähne erschienen sind, kommen mit etwa 12 Monaten die ersten Milchbackenzähne dazu, mit 16 bis 20 Monaten die Eckzähne und mit 20 bis 24 Monaten die zweiten Backenzähne.
Normalerweise wachsen die Milchzähne ohne Verletzungen der Schleimhaut und völlig unblutig durch das Zahnfleisch, wie die Stiftung Kindergesundheit betont. Der Zahndurchbruch kann aber auch mit Begleiterscheinungen verbunden sein, die für eine Menge Stress in der Familie sorgen: Das Baby wird unruhig, gereizt und weinerlich. Die Schleimhaut im Mund kann sich röten oder bläulich verfärben. Gelegentlich sieht man über einem durchtretenden Zahn auch einen flüssigkeitsgefüllten Raum. Die Spannung im Zahnfleisch ist mitunter schmerzhaft. Die Kinder sabbern mehr und reiben am gereizten Zahnfleisch. Auch ihre Temperatur kann tatsächlich leicht in die Höhe gehen.
"Zahnfieber" ist meist harmlos
Was aber hat es mit diesem "Zahnfieber" genau auf sich? Diese Frage hat vor kurzem eine Gruppe von brasilianischen Medizinern an der Universität Santa Catarina in Florianópolis in einer groß angelegten Metaanalyse untersucht. Die Kinderärzte und Zahnärzte sichteten für ihre Studie insgesamt 1.179 Publikationen zum Thema Zahnen.
Ihr beruhigendes Ergebnis: Der Zahndurchbruch führte zwar tatsächlich häufiger zu einer leichten Temperaturerhöhung, jedoch nur selten zu Fieber über 38 Grad Celsius. "Das stimmt mit den Erfahrungen der meisten Kinder- und Jugendärzte überein: Zähnekriegen ist keine Krankheit und verursacht auch keine Krankheiten. Wenn Kinder beim Zahnen höheres Fieber oder schwerwiegendere Beschwerden haben, sollte man nicht vorschnell das Zahnen dafür verantwortlich machen, sondern an andere krankmachende Ursachen denken und das Kind dem Kinderarzt vorstellen", betont Koletzko.
Bernsteinketten helfen nicht
Damit den Babys das Zahnen selbst weniger zu schaffen macht, können Eltern einiges tun. Das Umhängen einer Bernsteinkette gehört allerdings nicht dazu. Früher galt Bernstein als Heilsbringer und wurde häufig gegen das Zahnen bei Kindern eingesetzt - doch selbst heute bieten Drogerien, Apotheken und Internethändler Halskettchen aus echtem oder gefälschtem Bernstein an, die Babys angeblich das Zahnen erleichtern sollen.
Beweise für diese Wirkung gibt es nicht, wohl aber für die Gefährlichkeit des modischen Baby-Schmucks: Wie die Stiftung Kindergesundheit betont, können die Ketten das Kind beim Spielen und Schlafen verletzen und sogar strangulieren, wenn sie sich irgendwo verhaken. Gefahr droht zudem, wenn die Kette reißt: Es besteht die Gefahr, dass das Kind Steine in den Mund nimmt und verschluckt oder sie in Nase und Ohren steckt. "Eltern sollten daher auf diese überflüssigen und gefährlichen 'Heilmittel' verzichten", empfiehlt Koletzko.
Beißringe verschaffen Linderung
Wirkliche Linderung verschaffen zum Beispiel mit Wasser gefüllte und leicht gekühlte Beißringe. Oft hilft es auch, die Zahnleiste des Babys mit dem Finger zu massieren. Flüssige Zahnungsmittel aus der Apotheke enthalten betäubende Substanzen sowie entzündungshemmende und schmerzlindernde Wirkstoffe, meistens allerdings auch Alkohol. Mit essbaren Zahnungsmitteln sollten Eltern eher vorsichtig sein, rät die Stiftung Kindergesundheit: Aus den oft zum Kauen empfohlenen Karotten oder Brotrinden können leicht kleine Stücke abbrechen und in den falschen Hals geraten.