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Else Lasker-Schülers Gedichte: Eine fantastische Gratwanderung

Warum beginnt Else Lasker-Schüler ein neues Leben?

Die 1869 in Wuppertal geborene Jüdin zieht mit ihrem Mann, dem Arzt Bertold Lasker, 1894 nach Berlin. Dort lernt Else Lasker-Schüler den Dichter Peter Hille kennen, der ihr zum Schreiben rät und sie in die Berliner Boheme einführt. In diesen Kreisen wird sie ermutigt, mit den Regeln des bürgerlichen Establishments zu brechen, um vorbehaltlos ihrer Bestimmung als Künstlerin zu folgen. Lasker-Schüler beginnt, sich von allen gesellschaftlichen Zwängen zu lösen, auch von ihrem Mann. Mit einem unehelichen Sohn – den Namen des Vaters wird sie nie verraten – lebt sie fortan ohne Einkünfte in völliger Armut. 1902 erscheint ihr erster Gedichtband »Styx«, in dem sie euphorisch die Freude am Leben preist: Sie selbst wohnt in dieser Zeit in einem dunklen Kellerraum.

Wie findet sie zum Expressionismus?

Dank Hille kommt sie in der Künstlerkolonie »Neue Gemeinschaft« unter, wo sie sich mit Schriftstellern wie Gottfried Benn, Richard Dehmel und Georg Trakl anfreundet. Hier trifft sie auch Herwarth Walden, den sie 1903, unmittelbar nach der Scheidung von ihrem ersten Mann, heiratet. Walden gibt die Zeitschrift »Der Sturm« heraus, die neben Franz Pfemferts »Aktion« zum wichtigsten Organ des Expressionismus in Deutschland wird. Zahlreiche Gedichte Lasker-Schülers erscheinen im »Sturm«. Ihr zweiter Gedichtband »Der siebente Tag« (1905) enthält das berühmte »Mein Volk«, das als das erste deutsche expressionistische Gedicht gilt. Mit »Meine Wunder« (1911) manifestiert sich die Liebe als das zentrale Thema ihrer Lyrik und ihre eigene Stellung als führende Repräsentantin des Expressionismus.

Warum stürzt sich die Lyrikerin in Traumwelten?

1912 lässt Walden sich von ihr scheiden. Lasker-Schüler stürzt in eine tiefe Krise, die sie durch eine Flucht in Traumwelten überwindet. Traumwelten beherrschen auch ihre folgenden Veröffentlichungen (vor allem »Hebräische Balladen«, 1913), in denen sie sich selbst als »Jussuf, Prinz von Theben« stilisiert und mystifiziert. Diese Rolle spielt sie auch nach außen; so lässt sie sich die Haare kurz schneiden und spaziert, als orientalischer Prinz verkleidet, in weiten Männerhosen und mit Fußglocken durch Berlin. In diesen exzentrischen Aufmachungen und wegen ihrer unkonventionellen Lebensweise als allein erziehende Mutter und Künstlerin wird sie zu einer stadtbekannten Persönlichkeit. Die »Gesammelten Gedichte« (1917) und eine zehnbändige Gesamtausgabe ihrer Werke (1919/1920) markieren den Höhepunkt ihrer Karriere.

Wie kommt es zur zunehmenden Vereinsamung?

Trotz ihres Erfolgs befindet sich Else Lasker-Schüler stets in Geldnöten und kann sich nur durch Lesungen und Auftragsarbeiten über Wasser halten. Nach dem Tod ihres Sohnes 1927 zieht sie sich aus der Öffentlichkeit zurück und vereinsamt völlig. 1933, mit 64 Jahren, verlässt sie nach einem brutalen Nazi-Überfall Deutschland. Sie emigriert zunächst in die Schweiz, dann nach Palästina. Am 22. Januar 1945 stirbt die Frau, die »Prinz Jussuf« war, einsam und völlig verarmt in einem Jerusalemer Krankenhaus. Ihr letzter und vielleicht schönster Gedichtzyklus »Das blaue Klavier« (1943) zeugt von ihrer Trauer um Verlorenes, aber auch von ihrer so oft enttäuschten und doch ungebrochenen Liebe.

Was charakterisiert das lyrische Werk?

Die Gedichte dieser provozierenden Lyrikerin sind stets auf ein imaginäres Du gerichtet – hoffend, mit diesem Du eine harmonische Einheit zu erlangen. In einfachen Sätzen und kaum verschlüsselten Bildern erschafft sie von intensiven Gefühlen bestimmte (Traum-) Welten, die Sinn und Schönheit stiften und in denen die Mangelhaftigkeit des wirklichen Lebens aufgehoben wird. ELse Lasker-Schülers Gedichte stellen einen einzigen Fluchtversuch vor der realen Welt dar, in der sie so sehr nach einem dauerhaften Glück suchte und doch nur bittere Enttäuschung fand.

Was bewirkte der literarische Expressionismus?

Er radikalisierte die Ausdrucksformen. Der Naturalismus, die dominierende Strömung des ausgehenden 19. Jahrhunderts, wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts von einer Vielzahl neuer Richtungen abgelöst. Der Expressionismus machte es sich zum Ziel, durch eine ausdrucksstarke, »expressive« Dichtung zum »Wesen« des Menschen vorzudringen. Die Expressionisten verstanden sich als Weltverbesserer, die auf eine radikale »Erneuerung der Menschheit« zielten. Diese Strömung entstand um 1910 und erlebte vor dem Ersten Weltkrieg eine intensive Blüte; nach den desillusionierenden Kriegserfahrungen wandten sich die meisten Expressionisten von ihren früheren Idealen und den damit verbundenen Ausdrucksformen ab. Die bedeutendsten deutschen Expressionisten waren Gottfried Benn, Georg Heym, Georg Trakl und Else Lasker-Schüler.

Wussten Sie, dass …

Karl Kraus Else Lasker-Schüler die »stärkste und unwegsamste lyrische Erscheinung des modernen Deutschland« genannt hat?

Else Lasker-Schüler auch zeichnerisches Talent besaß? Ihr »Selbstbildniß im Sternenmantel«, das wahrscheinlich ihren Kopfputz als König von Theben zeigt, hat sie Franz Marc gewidmet. Es ist in der Pinakothek der Moderne in München ausgestellt.

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