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Stadt der Toten: Die Pariser Katakomben
Unterirdische Knochenberge passen auf den ersten Blick nicht so recht zum romantischen Image der Stadt der Liebe. Doch die Katakomben verraten einiges über die Pariser Stadtgeschichte und sind stumme Zeugen des bewegten 18. Jahrhunderts. Einer Zeit, in der Paris vor ungewöhnlichen Herausforderungen stand.
Leichen im Keller
Im 18. Jahrhundert hatte Paris ein großes Problem: Die Friedhöfe platzten aus allen Nähten und über der Stadt lag der Gestank der Verwesung, der aus fauliger Erde und Massengräbern aufstieg. Besonders schlimm war es im Viertel Les Halles, das am größten Friedhof der Stadt, Les Saints-Innocents, lag. „Die riesige Nekropole Saints-Innocents beherbergte die Toten aus allen Gemeinden der Stadt. Die menschliche Verwesung vermischte sich mit dem Blut und den Eingeweiden des Marktes und den Müllbergen zu einem fauligen Gestank, der Les Halles zu einer Achse der Ansteckung und Krankheit machte“, beschreibt Historikerin Rosemary Wakeman von der Fordham University die Situation in dieser Gegend.
In der Stadt mehrten sich Stimmen, die eine Lösung des Friedhof-Problems forderten. Ein triftiges Ereignis im Jahr 1780 sorgte schließlich dafür, dass die Stimmen endlich Gehör fanden: Zu dieser Zeit stürzte die Mauer eines Massengrabes ein, wodurch mehrere Leichen in den angrenzenden Keller eines Gastronomen, zwischen Fässer und gelagerte Lebensmittel, rutschten. Noch im selben Jahr hörten die Bestattungen auf dem Les Saints-Innocents schließlich auf. Doch das reichte natürlich noch nicht. Die Leichen, die dort verwesten, verursachten schließlich auch ohne ständigen Nachschub bereits genug Ärger. Die Körper mussten also weg. Doch wohin mit ihnen?

Aus den Augen, aus dem Sinn
Ein glücklicher Zufall half bei der Suche nach einem neuen Lagerort: Unter der Stadt befand sich nämlich bereits ein verzweigtes Netz aus stillgelegten Steinbrüchen, das den nötigen Platz für die Leichen bot. Dass die Steinbrüche als Lagerstätte in Frage kamen, war der Inspection générale des carrières zu verdanken. Die Generalinspektion der Steinbrüche war 1777 ins Leben gerufen worden und überwachte und reparierte die unterirdischen Gänge seitdem. Zuvor waren Teile davon bereits eingestürzt und hatten ganze Straßen mit in die Tiefe rissen.
Zeitlich passte die Gründung der Inspektion überaus gut zum Kampf gegen das Friedhof-Problem. Und so erhielten die Mitarbeiter prompt eine zusätzliche Aufgabe: Sie sollten die Knochen der Toten vom Les Saints-Innocents in die unterirdischen Steinbrüche umbetten. Die ersten Räumungen fanden zwischen 1785 und 1787 statt. Die Arbeiter verlagerten die Knochen immer erst bei Einbruch der Nacht, um Kritik von Bevölkerung und Kirche aus dem Weg zu gehen. Es dauerte zwölf Jahre, bis die Pariser Friedhöfe leer und die Katakomben mit den Gebeinen von über sechs Millionen Menschen gefüllt waren. Die ältesten Knochen waren über 1.200 Jahre alt.

Vom Steinbruch zur Touristen-Attraktion
Irgendwann kam der Gedanke auf, die Katakomben der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Doch dafür musste sich das enorme Massengrab zunächst im Sinne der Ästhetik und Pädagogik wandeln. Ein Job für den Bergbauingenieur und Politiker Héricart de Thury, der Ordnung in das Chaos der lose herumliegenden Knochen brachte. Er ließ kunstvolle Muster aus Schienbeinen und Schädeln bauen und gemauerte Denkmäler im antiken und ägyptischen Stil errichten.
Der „Innenarchitekt“ der Katakomben werkelte außerdem an einem Rundgang wie in einem Museum, bei dem die Besucher sowohl etwas lernen als auch nachdenklich werden sollen. Um die Museumsgänger zu bilden, stellte de Thury unter anderem Knochen mit sichtbaren Erkrankungen und Deformationen aus. Für den philosophischen Aspekt ließ er Tafeln mit religiösen und poetischen Texten anbringen, durch die die Besucher über das Thema der Sterblichkeit nachdenken sollten.
1809 war es schließlich soweit: Die Katakomben öffneten und wurden sogleich zum Besuchermagnet. Zu den Gästen zählten auch adelige Berühmtheiten, wie der österreichische Kaiser Franz I. oder Napoleon III. Auch heute ist noch ein Teil der Katakomben für Besucher zugänglich und lässt sich in einem 45-minütigen Rundgang erkunden.