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Auf den Spuren von "UL 12.41" - Wie die Berliner Mauer ihre typische Form bekam
13. August 1961: Am Anfang war nur Stacheldraht
Wäre die Geschichte von UL 12.41 nach Plan verlaufen, würde heute wohl kaum jemand Notiz davon nehmen. Man würde höchstens in archivierten Dokumenten der DDR-Planwirtschaft von dessen Existenz erfahren, schließlich war dieses Mauerstück nicht für die Grenzbefestigung, sondern vor allem für die Landwirtschaft gedacht.
Doch das Schicksal dieses Betonteils änderte sich mit einem Ereignis, das sich am 13. August zum 53. Mal jährt: An jenem Tag im Jahr 1961 rollten NVA-Soldaten, abgesichert durch Angehörige der Roten Armee, Stacheldraht entlang der sowjetischen Sektorengrenze Berlins aus. Dieses Datum gilt seither als Zeitpunkt der Entstehung der Berliner Mauer - obwohl es zunächst gar keine Mauer gab. Sie wurde erst in den folgenden Tagen nach und nach um West-Berlin herum errichtet.
Hohlblocksteine und Betonplatten
Diese erste Mauer hatte allerdings wenig Ähnlichkeit mit dem, was wir landläufig als die Berliner Mauer kennen. Stattdessen war es ein zusammengeflicktes Gebilde aus Hohlblocksteinen mit einem Y-förmigen Stacheldrahtaufsatz an der Oberkante. Ab 1965 wurde diese Mauer der ersten Generation durch eine Mauer mit aneinandergefügten Betonplatten ersetzt, die in sogenannte H-Profile eingefügt wurden.
Diese zweite Generation der Mauer hatte aber wie ihre Vorgänger aus Sicht der DDR-Regierung einige Nachteile: Sie war relativ leicht zu beschädigen, konnte mit geringem Aufwand überwunden oder untergraben werden, war wartungsintensiv und außerdem kein Meisterwerk der Ästhetik. Die Mauer wurde sowohl durch ihr Erscheinungsbild als auch vor allem durch die vielen Meldungen über getötete Flüchtlinge zu einem handfesten Imageproblem für den "Arbeiter- und Bauernstaat".
Gesucht: Eine schöne Mauer für den Westen
Auf persönliches Betreiben Erich Honeckers suchte die Staatsführung der DDR Anfang der 1970er Jahre nach einem Weg, um die „Akzeptanz der Staatsgrenze der DDR“ zu erhöhen. Konkret bedeutete dieses "Mauermarketing", dass die Grenzanlagen nach innen möglichst fluchtsicher und zum Westen hin möglichst ästhetisch gestaltet werden sollten.
Neben ausgefeilteren Fluchtverhinderungsmethoden im Grenzstreifen sollte der neue Mauertyp eine geringe Wartung benötigen und – am wichtigsten - weder überklettert noch mit Kraftfahrzeugen durchbrochen werden können. Denn - so die Vorstellung der DDR-Regierung - dann gäbe es auch keine unschönen Berichte über Flüchtlinge mehr. Und nach außen hin sollte die Mauer zudem ein „ordentliches“ Erscheinungsbild abgeben.
Von der Silowand zur Grenzbefestigung
Als „Sieger“ aus dem Auswahlprozess ging das Stützwandelement UL 12.41 hervor – genau das Betonteil, das heute in aller Welt mit der Berliner Mauer assoziiert wird. Dieses Betonelement, das der dritten und letzten Generation der Berliner Mauer ihr Gesicht gab, war ursprünglich keineswegs für die Grenze bestimmt, sondern für Gärfuttersilos und für den Bau von großen Traglufthallen entwickelt worden. Hergestellt wurde das Mauer-Bauteil im 200 Kilometer nördlich von Berlin gelegenen Malchin. Die Mitarbeiter des zu einem Baukombinat gehörenden Betonwerks wussten allerdings zunächst nicht, wozu diese Betonteile verwendet wurden - das sprach sich erst im Laufe der Zeit herum.
Ein einzelnes Mauerteil wog 2,75 Tonnen, war 3,60 Meter hoch und bestand aus besonders dichtem Beton. Die glatte Oberfläche des Spezialbetons und das aufgeflanschte Rohr aus Asbestbeton sollten das Überklettern praktisch unmöglich machen. Nachdem die "neuen" Mauer-Bauteile in den späten 1970er Jahren nach und nach Teile der alten Berliner Mauer ersetzt hatten, war die DDR-Parteiführung zunächst auch zufrieden: Die Zahl von Fluchten, Mauertoten und Untertunnelungen sank – aus ihrer Sicht also ein Erfolg. Denn die Berichte über Flüchtlinge und Fluchtversuche in Berlin wurden weniger.
Die Mauer wird zur Leinwand
Auf der Westberliner Seite der Mauer entdeckten unterdessen Street-Art-Künstler den glatten und dichten Beton der neuen Mauerteile für sich als Leinwand. Da die Mauer offiziell auf dem Hoheitsgebiet der DDR stand, konnte man als Sprayer praktischerweise von Westberliner Polizisten nicht belangt werden. Immer wieder versuchten DDR-Grenzer zwar, durch Übertünchung der „Verunstaltungen“ Herr zu werden. Da diese Versuche aber kläglich scheiterten, wurde die Bemalung im Laufe der Zeit von der DDR stillschweigend hingenommen.
Nach und nach zog die Mauer Künstler aus aller Welt an, auch international bekannte Maler wie der Franzose Thierry Noir und der US-Amerikaner Keith Haring schufen dort Werke, deren Bilder um die Welt gingen. Der neue Mauertypus samt Bemalung entwickelte sich dadurch schnell zu einer beliebten Touristenattraktion in West-Berlin.
Weltruhm für "UL 12.41"
Und auch wenn heute ein Tourist in Berlin nach Resten der Berliner Mauer fragt, dann meint er – ohne es zu wissen – meist das Modell UL 12.41. Obwohl zum Zeitpunkt des Mauerfalls im Jahre 1989 gerade mal rund 42 Kilometer der insgesamt 156,4 Kilometer langen Grenzlinie um West-Berlin aus diesen Betonteilen bestand, prägt sie das Bild das Berliner Mauer bis heute.
Als Museums- und Erinnerungsstück ist "UL 12.41" seither in alle Welt gelangt, auf Auktionen erzielten von Künstlern bemalte Mauerteile hohe fünfstellige Beträge. Bis heute gehören Mauerbruchstücke mit Echtheitszertifikat zu den beliebtesten Berlin-Souvenirs. Und so wird UL 12.41 auch am 30. Jahrestag des Mauerfalls und lange darüber hinaus Menschen in aller Welt an einstige Teilung Berlins und die Berliner Mauer erinnern.