Lexikon

Philosophie

[
griechisch, „Liebe zur Weisheit, zur Wissenschaft“
]
das Streben der menschlichen Vernunft nach Wahrheit, nach „letzten Gründen“, insbesondere auch das Fragen nach der Stellung des Menschen in der Welt. Im Gegensatz zu den Einzelwissenschaften, die sich jeweils auf Teilausschnitte der Wirklichkeit beschränken, ist die Philosophie Universalwissenschaft. Sie lässt sich nicht auf einen bestimmten Gegenstandsbereich festlegen und vermittelt kein Lehrbuchwissen. Trotz jahrtausendelanger Bemühungen ist es ihr nicht gelungen, sichere, allgemein anerkannte Erkenntnisse zu gewinnen. Was aus zwingenden Gründen von jedermann anerkannt wird, ist nicht mehr Gegenstand der Philosophie, sondern wissenschaftliche Erkenntnis. Mit der fortlaufenden Verselbständigung der Einzelwissenschaften seit Beginn der Neuzeit wurde die Definition der Philosophie als Universalwissenschaft problematischer. So wird Philosophie heute häufig mit Erkenntnis- oder Wissenschaftstheorie gleichgesetzt, d. h., ihr fällt die Aufgabe zu, die unbewiesen von den Einzelwissenschaften vorausgesetzten Prinzipien und Möglichkeitsbedingungen zu klären.
Eine allgemein verbindliche Definition der Philosophie gibt es nicht. Kennzeichnend für das philosophische Fragen ist nicht selten seine Radikalität, d. h. nicht die Erforschung einzelner Kausalzusammenhänge steht im Vordergrund, sondern der Sinn des Seienden überhaupt ist Gegenstand des Fragens. Da die Frage nach dem Sinn des Lebens für den einzelnen Menschen entscheidend ist, erweist sich Philosophie immer wieder als eine nicht fortzudenkende Lebenserscheinung des Menschen.
Das Wort Philosophie ist griechischen Ursprungs und trat als Name zuerst bei Heraklit auf. Der die Wissenschaft (Weisheit) Besitzende war der Weise (sophos), der sie Lehrende der Sophist (sophistes). So ist der Sophist ursprünglich der erfahrene Kenner, der aber immer mehr zum Alleskönner im negativen Sinne wird. Dass das Lehrgut der Sophisten kein echtes Wissen sei, meinte Sokrates und nannte sich im Gegensatz zu ihnen Philosoph. Seit Platon ist der Begriff feststehender Ausdruck. Im „Symposium“ charakterisiert er Philosophie als Liebe zur Weisheit, zum Wahren, Guten und Schönen, personifiziert im Dämon „Eros“. Die Bezeichnung „sophos“ kommt nach Platon nur den Göttern zu; der Philosoph könne die reine Wissenschaft (der Ideen) zwar erstreben, aber nicht besitzen. War für Aristoteles Philosophie wieder lehrbare Wissenschaft, die er in theoretische (Mathematik, Physik, einschließlich Psychologie), praktische (Ethik, Politik, Ökonomik) und poietische Philosophie (Technik, Ästhetik, Rhetorik, Pädagogik) einteilte, so hob er doch von den einzelnen Lehrfächern die „erste Philosophie“ (Metaphysik) als Seinswissenschaft und Prinzipienlehre besonders hervor.
Aristoteles
Aristoteles
Die Stoa unterschied die sophia als die Erkenntnis der göttlichen und menschlichen Dinge von der Philosophie im engeren Sinne als dem Streben nach Tugend und Tüchtigkeit. Der Philosophiebegriff des Mittelalters ergab sich aus der Vereinigung der stoischen mit den platonischen und aristotelischen Lehren und führte dann in der Scholastik zur Aufgliederung der Philosophie in die Metaphysik (Ontologie und Theologie), Physik (Kosmologie und Psychologie) und Ethik (Politik). Durch die mit R. Descartes und dem englischen Empirismus (insbesondere J. Locke) beginnenden und bei Kant ihren ersten Höhepunkt erreichenden Untersuchungen zu den Bedingungen der Erkenntnis trat die Disziplin der Erkenntnistheorie und Erkenntniskritik in den Vordergrund. A. G. Baumgarten begründete die Ästhetik als selbständige wissenschaftliche Disziplin.
Aus der immer stärkeren Verselbständigung der Einzelwissenschaften im 19. Jahrhundert, die nach einer philosophischen Untermauerung ihrer Methoden und nach Einbettung ihrer Ergebnisse in eine Weltanschauung strebten, entwickelten sich zahlreiche Sonderdisziplinen der Philosophie: Kunstphilosophie, Sprachphilosophie, Rechtsphilosophie, Geschichts- und Kulturphilosophie, Sozialphilosophie, Religionsphilosophie, Naturphilosophie, Philosophie der Mathematik, der Technik u. a. Die heutigen wissenschaftlichen Einzeldisziplinen gehörten ursprünglich zum größten Teil zur Philosophie. Zur alten Metaphysik gehörte auch die Theologie, später wurde sie eine auf die Offenbarungsurkunden und die Kirche gegründete positive Wissenschaft; die Naturphilosophie umfasste Physik und Kosmologie; Politik und Ökonomie gehörten zur praktischen Philosophie. Psychologie und Anthropologie waren noch bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts Teile der Philosophie, haben sich nun aber verselbständigt; Kunstreflexion und Kunstkritik haben sich heute weitgehend von der Philosophie gelöst. Auch die Logik hat sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zu einer selbständigen, der Mathematik nahen formalen Wissenschaft entwickelt, und die Sprachphilosophie führt neuerdings als Linguistik ein Eigenleben. So bleiben von dem Anspruch der Philosophie, das Ganze zu denken, eigentlich nur noch ein Teil der Metaphysik, die Ontologie, die Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie (wobei letztere sich auch schon zur reinen Methodenreflexion der Wissenschaften zu verflüchtigen scheint) sowie eine mehr oder weniger persönlich gefärbte Standpunktsphilosophie in der Art der Existenz- und Geschichtsphilosophie übrig. In diese scheint auch die Ethik immer mehr aufzugehen, die heute nahezu in das persönliche Belieben gegeben ist oder aber als formale Metaethik auftritt.
Ungeachtet der Verselbständigung der Einzelwissenschaften stellen die politischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Probleme der modernen Industriegesellschaft eine Herausforderung für die Philosophie dar. Die akuten Menschheitsprobleme der Gegenwart (Gefahr einer atomaren Katastrophe, Umweltzerstörung) machen deutlich, dass die geistig-moralische Entwicklung des Menschen mit dem rapiden wissenschaftlich-technischen Fortschritt nicht standhalten kann. Dennoch sollte die Philosophie sich nicht aus dem Bereich der Wissenschaften heraushalten oder gar in Technikfeindlichkeit verfallen, sondern vielmehr Wissenschaft und Technik ständig neu in Frage stellen. Philosophie ist daher universelle Kritik (Ideologiekritik, Religionskritik, Wissenschaftskritik). Diese wesentliche Funktion vereinigt die Vielzahl der Philosophien zu einer Einheit. Ihr Fortschritt ist nicht spektakulär oder materiell fassbar wie in den Einzelwissenschaften. Der Fortschritt der Philosophie ist der Fortschritt ihres Problembewusstseins.
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