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Thor Heyerdahl: Zwischen Wissenschaft und Abenteuer
Kon-Tiki: Auf einem Floß in die Südsee
Als Thor Heyerdahl am 28. April 1947 mit seinem selbstgebauten Balsaholz-Floß "Kon-Tiki" von Peru aus in die Südsee aufbricht, gilt er in der wissenschaftlichen Fachwelt als Spinner. Niemand kann sich vorstellen, dass die Expedition mit diesem primitiven Gefährt tatsächlich ihr Ziel erreicht und auf den rund 7.000 Kilometer entfernten pazifischen Inseln ankommt. Doch 101 Tage später hat Heyerdahl alle Kritiker Lügen gestraft. Mit seinem Eintreffen im Tuamotu-Archipel beweist er, dass bereits die uralten Kulturen Südamerikas in der Lage waren, die Weltmeere zu überqueren. Sogar eine Besiedlung Polynesiens von Südamerika aus lag nun - entgegen der gängigen Lehrmeinung - zumindest im Bereich des Möglichen.
Die Presse überschlägt sich vor Begeisterung über die historische Fahrt und feiert Thor Heyerdahl als den größten Entdecker des 20. Jahrhunderts. Heyerdahl selbst erweist sich als echter Medienprofi und vermarktet das Kon-Tiki-Abenteuer in Büchern und Filmen. Für den Dokumentarfilm zur Reise gibt es 1952 sogar den Oscar der Traumfabrik aus Hollywood.
Große Zweifel und harsche Kritik
Doch in der wissenschaftliche Welt ist man weit weniger begeistert, die Thesen des norwegischen "Enfant Terrible" sind in der Fachwelt stark umstritten. Denn nach gängiger Lehrmeinung erfolgte die Besiedlung Polynesiens und auch der Osterinsel von Westen her, durch Seefahrer aus Asien. Der angesehene polynesische Gelehrte Sir Peter Buck bewertet die Fahrt mit der Kon-Tiki sogar abfällig als "nettes Abenteuer, das aber doch unmöglich als wissenschaftliche Expedition bezeichnen kann".
Immerhin weichen von Heyerdahl gemachte archäologische Funde auf der Osterinsel die Lehrmeinung soweit auf, dass 1961 ein Einfluss auch südamerikanischer Kulturen auf die pazifischen Inseln nicht mehr kategorisch ausgeschlossen wird.
Mit dem Papyrusboot über den Atlantik
Doch Heyerdahl will noch mehr: Er ist der festen Überzeugung, dass auch die alten Ägypter schon ausreichend gute Schiffe und seefahrerische Kenntnisse besaßen, um den Atlantik zu überqueren und nach Südamerika zu gelangen. Auch diese These steht allerdings in striktem Widerspruch zur gängigen Lehrmeinung. Heyerdahl lässt sich aber nicht beirren: Nach einem Fehlstart macht er sich im Jahr 1969 mit dem zwölf Meter langen Papyrusboot Ra II von Marokko aus auf den Weg in die Neue Welt.
Nach 57 Tagen erreichen er und sein Crew tatsächlich die rund 6.000 Kilometer entfernte Karibikinsel Barbados. Das beweist: Anders als bisher vermutet, könnten die alten Ägypter bereits vor mehreren tausend Jahren grundsätzlich die Fähigkeiten gehabt haben, den Atlantik zu überqueren. Ob sie dies allerdings tatsächlich taten und ob sie mit den Indianern in Süd- und Mittelamerika in Kontakt standen, bleibt eher zweifelhaft. Heyerdahl unternimmt bis zu seinem Tod noch weitere Expeditionen und führt Ausgrabungen unter anderen auf der Osterinsel, auf Teneriffa und in Peru durch.
Heyerdahls Erbe
Heute, 100 Jahre nach der Geburt des umstrittenen Forschers und Seefahrers, sind die meisten seiner Theorien widerlegt. Sprachforschung und Genetik belegen eindeutig, dass die Osterinsel, aber auch Polynesien, von Einwanderern aus Asien besiedelt wurden. Dennoch: Trotz aller Kritik hat Thor Heyerdahl unbestreitbar einen wichtigen und innovativen Beitrag zur Erforschung früher Kulturen geleistet. Denn mit seiner Methode des Nachbauens auf Basis von Überlieferungen oder Abbildungen begründete er den heute durchaus etablierten Zweig der experimentellen Archäologie.