Lexikon

Freiheit

nach der allgemeinsten, ursprünglichen Bestimmung die Abwesenheit von Zwang und die Unabhängigkeit von Notwendigkeit oder Zufall. Diese Definition entspricht auch der Wortgeschichte und der zunächst sozialen Bedeutung des Begriffs: Das von einer indogermanischen Wurzel ausgehende „fri“ hängt mit „Freund“ zusammen und meint die Stammesverwandten, deren Gegensatz die Unfreien (Sklaven, Kriegsgefangene) sind. Denselben Ursprung haben das griechische und das lateinische Wort für „frei“: eleutheros und liberale. Freiheit erlangte später eine positive Bedeutung als Einordnung in das gemeinsame Gesetz (Autonomie, Autarkie).
Am Anfang seiner Geschichte ist Freiheit kein positiver philosophischer Begriff, sondern wird den Menschen erfahrbar in Abgrenzung von Notwendigkeit, Schicksal, Zufall, dem sie unterworfen sind. Frei ist der Grieche als Bürger der Polis gegenüber dem Sklaven, Kriegsgefangenen oder Barbaren. In der griechischen Tragödie gewinnt der Held Freiheit, indem er das unfassbare Tun der Götter als eigenstes Gesetz verinnerlicht; bei den Sophisten ist Freiheit, was die Natur bestimmt, die auf das Zuträgliche, die Tugend und das Gemeinwohl in der Polis zielt; bei den Kynikern und Stoikern ist Freiheit Unabhängigkeit von äußerlich und innerlich Zwingendem, von Bedürfnissen und Leidenschaften. Nach Platon ist Freiheit das Sein des Guten, an dem die Seele um ihrer Erfüllung willen notwendig teilzuhaben strebt, während es bei Aristoteles dazu eines Willensaktes und einer besonderen Entscheidungskraft bedarf. Die Einheit eines notwendig freien Wesens und der Selbstverfügung im Wollen ist nach Plotin aber nicht im Menschen, sondern nur in einem göttlichen Wesen möglich.
In den theologischen Auseinandersetzungen des Mittelalters geht es um die Frage der Vereinbarkeit von menschlicher Freiheit und göttlicher Allmacht und Vorsehung; aber auch darum, ob Gott noch als allgütig angeschaut werden könne, wenn auch das Böse durch seinen freien Willen entstanden sei. Bei Augustinus hat das Böse seinen Ursprung ausschließlich im Wollen des Menschen. Die Freiheit des Menschen lässt sich nach W. von Ockham nicht beweisen, sondern nur durch Innenerfahrung feststellen, somit durch Glauben; dieser aber ist nach Luther nur als Gnade Gottes möglich. R. Descartes geht davon aus, dass mit zunehmender intellektueller Klarheit auch die menschliche Freiheit wächst; für G. W. Leibniz ist die Freiheit wesensbestimmend für den Menschen. Als politischen Freiheitsbegriff definiert T. Hobbes die Abwesenheit von physischem Zwang; dies bleibt auch für die empiristische Philosophie von J. Locke bis Voltaire bestimmend. Demgegenüber ist nach B. Spinoza eine Sache frei, die allein aus der Notwendigkeit ihres Wesens existiert und allein durch sich selbst zum Handeln bestimmt wird.
Erst bei J. J. Rousseau ist Freiheit wieder eine anthropologische Grundbestimmung des Menschen, in der sich die Geistnatur seiner Seele zeigt. Einen besonderen Ausdruck hat der Begriff der Freiheit in der Philosophie des deutschen Idealismus gefunden, der von Kants Bestimmung des Willens durch seine eigene allgemeine Form (kategorischer Imperativ) bis zu Hegel reicht, der Freiheit nicht bloß transzendental, sondern auch geschichtlich-genetisch sieht: Konkrete Bestimmungen der Freiheit gewinnt der Geist erst auf dem Weg der Erfahrung seiner selbst in den verschiedenen historischen Gestalten, die in der Philosophie zur Darstellung kommt und in der geschichtlichen Praxis verwirklicht wird. An diesen Freiheitsbegriff knüpft Marx an, während L. Feuerbach, wie die empirische Psychologie, das materialistische Konzept handlungsdeterminierender Affekte gegen den Begriff der Freiheit geltend macht. Bei M. Heidegger ist Freiheit die Grundbestimmung des menschlichen Daseins, dagegen ist sie für J.-P. Sartre nicht willentlich wählbar, der Mensch ist in seiner Geworfenheit „zur Freiheit verurteilt“. Neue Ansätze zu einer Begründung bzw. Infragestellung von Freiheit kommen derzeit von der Soziologie, der Kulturanthropologie und der Kybernetik.
Die politische Freiheit hat ebenfalls verschiedene Bedeutung: als Freiheit des Einzelnen im Staat bis zur völligen Entmachtung des Staates („Nachtwächterstaat“ des Liberalismus, Anarchismus), als in den Grundrechten festgelegte bürgerliche Freiheit (Glaubens-, Presse-, Versammlungs-, Vereins-, Eigentumsfreiheit) oder aber als Freiheit des Staates bzw. Volkes selbst (Bündnisfreiheit, Souveränität u. Ä.). In Übertragung politischer Begriffe auf wirtschaftliche Verhältnisse fordert der Sozialismus Freiheit der Arbeiterklasse, d. h. die Beseitigung der Ausbeutung der Arbeitenden durch das Kapital. Im Recht ist die Freiheit des Einzelnen (Freiheitsdelikte, Freiheitsrechte), der dem Staat nachgeordneten Verbände (Selbstverwaltung) und der Staaten (Souveränität, Freiheit der Meere) besonders geschützt.
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