Lexikon

 

Deutschland

Vom alten zum neuen Reich

1789 brach die Französische Revolution aus. Der Versuch Preußens u. Österreichs, mit Waffengewalt in Frankreich einzugreifen, scheiterte und führte zum Gegenstoß. Unter dem Ansturm der Heere Napoleons brach das Reich zusammen. Frankreich nahm sich das linke Rheinufer. Durch den Reichsdeputationshauptschluss 1803 verloren viele kleine Fürstentümer und Freie Städte ihre Selbstständigkeit zugunsten der Mittelstaaten. Die meisten von diesen schlossen sich 1806 unter französischem Protektorat zum Rheinbund zusammen. Im gleichen Jahr legte Franz II. die Kaiserkrone nieder; damit endete das Heilige Römische Reich Deutscher Nation.
Die Französische Revolution griff zwar nicht auf Deutschland über, doch kam es in den Rheinbundstaaten und in Preußen zu Reformen, die den Abbau der feudalen Gesellschaftsordnung einleiteten.
Nach dem Sieg über Napoleon in den Befreiungskriegen 1813–1815 regelte der Wiener Kongress die Neuordnung Europas. An die Stelle des Reichs trat der Deutsche Bund, ein loser Zusammenschluss souveräner Einzelstaaten, der alle Einheits- und Freiheitsbestrebungen bekämpfte (Restauration). Diesen reaktionären Tendenzen wirkte eine moderne wirtschaftliche Entwicklung entgegen. Die Revolution in Frankreich von 1848 fand in Deutschland sofort ein Echo. In allen Bundesstaaten kam es zu Volkserhebungen, die den Fürsten Zugeständnisse abnötigten. Der Frankfurter Nationalversammlung gelang jedoch nicht die Schaffung eines bürgerlichen Nationalstaates. Die alten Mächte setzten sich durch, die meisten Errungenschaften wurden rückgängig gemacht. Trotzdem erstarkte das liberale Bürgertum, gestützt auf seine wachsende ökonomische Kraft. Allerdings unterlag es 1862 dem preußischen Ministerpräsidenten Bismarck in einem Verfassungskonflikt. Bismarck arbeitete auf die nationale Einigung „von oben“ hin. Im Deutschen Krieg 1866 wurde Österreich geschlagen. Der Deutsche Bund wurde aufgelöst, an seine Stelle trat der Norddeutsche Bund, der alle deutschen Staaten nördlich der Mainlinie umfasste. Der Widerstand Frankreichs wurde im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 gebrochen. Die süddeutschen Staaten schlossen sich 1871 mit dem Norddeutschen Bund zum Deutschen Reich zusammen; König Wilhelm I. von Preußen wurde zum „Deutschen Kaiser“ ausgerufen, Bismarck wurde Reichskanzler.
Reichsgründung - Zeremonie und Echo im Ausland
Reichsgründung - Zeremonie und Echo im Ausland
Der preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm (1888 für kurze Zeit selbst Kaiser) beschreibt die Krönungszeremonie am 18. 1. 1871 in Versailles, als sein Vater Wilhelm I. zum Kaiser ausgerufen wird:

Im Mittelfenster stand ein Feldaltar, vor dem der König, von allen Fürsten im Halbkreis umgeben, sich aufstellte und Prediger Rogge aus Potsdam die verkürzte Liturgie verlesen und ein einfaches Gebet sprechen sollte. Da das Kommando 〉Helm ab zum Gebet〈 für die Mannschaften vergessen worden war, musste ich es selber laut geben, worauf der aus Militärmusikern der hiesigen Regimenter gebildete Liturgiesängerchor nebst der Militärmusik den Choral 〉Sei Lob und Ehr'〈 in diesen gewaltigen Räumen mächtig ertönen ließ. Das 〉einfach Gebet〈 bestand aber in einer Strafrede auf Ludwig XIV. sowie in einer ziemlich taktlosen, langen, historisch-religiösen Abhandlung über die Bedeutung des 18. Januar für Preußen. Der Schluss, welcher auf die deutsche Frage und deren Lösung durch das heutige Ereignis anspielte, sprach des warmen, sachgemäßen Inhalts wegen wieder an.

 
Ich ließ meine Blicke während dieses Teil der Feier über die Versammlung und an die Decke schweifen, wo Ludwigs XIV. Selbstverherrlichungen, ... namentlich die Spaltung Deutschlands zum Gegenstand habend, und fragte mich mehr als einmal, ob es denn wirklich wahr sei, dass wir uns in Versailles befänden, um hier die Wiederherstellung des deutschen Kaisertums zu erleben - so traumartig wollte mir das Ganze erscheinen ...
Nachdem Seine Majestät eine kurze Ansprache an die deutschen Souveräne laut und in der wohl bekannten Weise verlesen hatte, trat Graf Bismarck, der ganz grimmig verstimmt aussah, vor und verlas in tonloser, ja geschäftlicher Art und ohne jegliche Spur von Wärme oder feierlicher Stimmung die Ansprache 〉An das deutsche Volk〈.
Bei den Worten 〉Mehrer des Reiches〈 bemerkte ich eine zuckende Bewegung in der ganzen Versammlung, die sonst lautlos blieb."
Der britische Oppositionsführer Benjamin Disraeli charakterisiert die Bedeutung des Deutsch-Französischen Krieges und die Gründung des Deutschen Reiches in einer Rede am 9. Februar 1871:
"Dieser Krieg bedeutet die deutsche Revolution, ein größeres politisches Ereignis als die französische des vergangenen Jahrhunderts ...
Nicht ein einziger der Grundsätze der Handhabung unserer auswärtigen Angelegenheiten, welche noch vor einem halben Jahr von allen Politikern als selbstverständliche Richtlinien anerkannt wurden, steht noch heute in Geltung.
Es gibt keine überkommene Auffassung der Diplomatie, welche nicht fortgeschwemmt wäre. Wir stehen vor einer neuen Welt, neue Einflüsse sind am Werk; ... das Gleichgewicht der Macht ist völlig zerstört; und das Land, welches am meisten darunter leidet und welches die Wirkungen dieses großen Wechsels am meisten zu spüren bekommt, ist England."
  1. Einleitung
  2. Natur und Klima
    1. Norddeutsches Tiefland
    2. Mittelgebirge
    3. Alpenvorland und Alpen
    4. Geschützte Natur
    5. Klima: maritim bis kontinental
  3. Bevölkerung
    1. Demographische Entwicklung
    2. Vertriebene, Aus- und Umsiedler
    3. Ausländer
    4. Ethnische Minderheiten
    5. Religion
  4. Bildung
  5. Staat und Politik
  6. Wirtschaft und Verkehr
    1. Effektive Landwirtschaft
    2. Bergbau und Energiewirtschaft
    3. Exportorientierte Industrie
    4. Dienstleistungssektor und Tourismus
    5. Gut ausgebautes Verkehrsnetz
  7. Geschichte
    1. Mittelalter
    2. Reformation und Gegenreformation
    3. Zeitalter des Absolutismus
    4. Vom alten zum neuen Reich
    5. Das Kaiserreich
    6. Die Weimarer Republik
    7. Die nationalsozialistische Diktatur
    8. Das geteilte Deutschland
    9. Die Wiedervereinigung
    10. Das wiedervereinigte Deutschland
  8. Deutschland: Staatsaufbau
  9. Militär
 
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