Lexikon

 

Deutschland

Das wiedervereinigte Deutschland

Bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl 1990 waren CDU, CSU u. FDP erfolgreich. Die Regierungskoalition unter Helmut Kohl wurde fortgesetzt. Unmittelbar nach der Vereinigung schloss Deutschland mit der UdSSR Verträge über gute Nachbarschaft und über den bis 1994 abzuschließenden Abzug der sowjetischen Truppen. In einem Vertrag mit Polen erkannte Deutschland die Oder-Neiße-Grenze völkerrechtlich an. 1991 erklärte der Bundestag Berlin zum Parlaments- und Regierungssitz. 1992 wurde der Vertrag von Maastricht über den Ausbau der EG zu einer Europäischen Union geschlossen.
Die Umstellung von der Zentralverwaltungs- zur Marktwirtschaft führte in der ehemaligen DDR zu großen wirtschaftlichen und sozialen Problemen. Nach der Bundestagswahl von 1994 blieb die bisherige Koalition im Amt. In den östlichen Ländern erzielte die PDS beträchtliche Wahlerfolge. Bei der Bundestagswahl 1998 erlitt die von Helmut Kohl geführte Koalition eine schwere Niederlage. Die SPD bildete eine Regierung mit der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Bundeskanzler wurde Gerhard Schröder (SPD). Außenpolitisch standen der NATO-Einsatz im Kosovo und die Weiterführung der europäischen Integration im Mittelpunkt. Nach den Anschlägen vom 11. 9. 2001 beschloss die Bundesregierung, die USA im Kampf gegen den internationalen Terrorismus zu unterstützen. Der Bundestag stimmte einer deutschen Beteiligung an einer internationalen Sicherheitstruppe für Afghanistan zu. Bei den Bundestagswahlen 2002 konnte sich das rot-grüne Regierungsbündnis mit knapper Mehrheit behaupten. Die deutsche Ablehnung eines militärischen Vorgehens gegen Irak belastete das Verhältnis zu den USA. In der Innenpolitik bestimmten Auseinandersetzungen über eine Reform der sozialen Sicherungssysteme (Agenda 2010, Hartz-Gesetze) und die hohe Arbeitslosigkeit die öffentliche Diskussion. 2005 stellte Gerhard Schröder die Vertrauensfrage, um mit deren Scheitern eine Parlamentsauflösung und Neuwahlen zu erreichen. Bei diesen Neuwahlen büßte die rot-grüne Koalition ihre Regierungsmehrheit ein. CDU/CSU und SPD bildeten eine Große Koalition mit Angela Merkel (CDU) als Bundeskanzlerin. 2006 beschloss das Parlament die Föderalismus-, 2007 die Gesundheitsreform. Außerdem wurde die schrittweise Anhebung des gesetzlichen Rentenalters von 65 auf 67 Jahre auf den Weg gebracht. Außenpolitisch standen 2007 die EU-Ratspräsidentschaft und der G8-Vorsitz im Vordergrund. Im Rahmen des ISAF-Mandates billigte der Bundestag im selben Jahr die Entsendung von Tornado-Aufklärungsflugzeugen nach Afghanistan. Die Bundesregierung bemühte sich auch um eine Beilegung des Atomstreites mit Iran. Das Verhältnis zu Russland wurde 2008 durch den Kaukasus-Konflikt belastet.
Die Regierungstätigkeit der Großen Koalition stand 2008/09 im Schatten der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, die durch den Zusammenbruch des Immobilienmarktes in den USA ausgelöst worden war und das internationale Bankensystem bedrohte. Im Oktober 2008 wurde ein Rettungspaket verabschiedet, das über einen Finanzmarktstabilisierungsfonds bis zu 400 Milliarden Euro für Bürgschaften für Kredite der deutschen Banken untereinander vorsah und bis zu 80 Milliarden Euro für direkte Beteiligungen an Finanzinstituten. Angesichts der drohenden wirtschaftlichen Rezession verabschiedete das Bundeskabinett im Januar 2009 ein milliardenschweres Konjunkturpaket. Der Maßnahmekatalog beinhaltete Steuer- und Abgabenerleichterungen, Investitionen in die Infrastruktur sowie eine Umweltprämie (Abwrackprämie) als Anreiz zum Kauf neuer Autos und einen Rettungsschirm für bedrohte Unternehmen. Der Arbeitsmarkt wurde durch großzügige Regelungen hinsichtlich des Kurzarbeitergeldes gegen die Verwerfungen der Krise abgesichert. Am 23. Mai 2009 bestätigte die Bundesversammlung im ersten Wahlgang Bundespräsident Horst Köhler im Amt.
In der Außenpolitik stand 2009 neben den anwachsenden Risiken des Afghanistan-Einsatzes die Europäische Union im Mittelpunkt. Am 30. 6. 2009 erklärte das Bundesverfassungsgericht den Vertrag von Lissabon zwar für verfassungskonform, aber das deutsche Begleitgesetz hinsichtlich der Mitspracherechte von Bundestag und Bundesrat für nicht ausreichend. Damit mussten Bundestag und Bundesrat noch kurz vor Ende der Legislaturperiode das Begleitgesetz ändern, um eine Ratifizierung des Vertragswerkes durch die Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen.
Bei den Bundestagswahlen am 27. 9. 2009 gewannen CDU/CSU und FDP eine stabile Mehrheit für ein Regierungsbündnis. Die SPD erlebte ein Debakel und erzielte mit einem Stimmenanteil von 23 Prozent ihr bisher schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl. Im Mai 2010 erklärte Bundespräsident Köhler im Zusammenhang mit Kritik an seinen Äußerungen über Auslandseinsätze der Bundeswehr überraschend seinen Rücktritt. Zum neuen Bundespräsidenten wurde von der Bundesversammlung am 30. Juni 2010 im dritten Wahlgang Christian Wulff gewählt.
Veranlasst durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes reformierte die Regierung die Hartz IV-Gesetzgebung. Das im August 2010 von Thilo Sarrazin (* 1945) veröffentlichte Buch »Deutschland schafft sich ab« löste eine zugespitzte sozial- und bevölkerungspolitische Debatte aus. Dabei wurden dem Autor u. a. Biologismus und Rassismus vorgeworfen. Vor dem Hintergrund dieser Debatte gab Sarrazin sein Amt als Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank auf. Die SPD leitete ein Parteiordnungsverfahren gegen ihn ein (im April 2011 beendet; Sarrazin blieb in der Partei). Neben der Sarrazin-Debatte bewegten 2010/11 die Auseinandersetzungen über das umstrittene Bahnprojekt »Stuttgart 21« Öffentlichkeit und Medien. In der Energiepolitik beschloss das Kabinett 2010 gegen den starken Widerstand der Opposition eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke um durchschnittlich zwölf Jahre. Nach der Atomkatastrophe von Fukushima im März 2011 änderte die Regierung Merkel ihren energiepolitischen Kurs mit dem Ziel, schneller in die Versorgung mit erneuerbaren Energien einzusteigen. Die sieben ältesten Kernkraftwerke wurden zunächst für drei Monate für eine Sicherheitsprüfung abgeschaltet (Moratorium). Am 1. 3 2011 erklärte Verteidigungsminister K.-T. zu Guttenberg im Zusammenhang mit einer Plagiatsaffäre um seine Doktorarbeit seinen Rücktritt. Er hatte im Jahr zuvor im Rahmen einer Bundeswehrreform eine Aussetzung der Wehrpflicht angestoßen, die am 24. 3. 2011 vom Bundestag beschlossen wurde. Nach dem unbefriedigenden Abschneiden der Regierungsparteien bei verschiedenen Landtagswahlen im ersten Quartal 2011 spitzten sich v. a. in der FDP Auseinandersetzungen über die Führung und den Kurs der Partei zu. Vor diesem Hintergrund erklärte Außenminister G. Westerwelle am 3. 4. 2011, beim nächsten Parteitag nicht erneut für das Amt des FDP-Parteivorsitzenden zu kandidieren. Sein Nachfolger als Parteivorsitzender und Vizekanzler wurde P. Rösler. Im Mai 2011 einigte sich die Regierung auf den vollständigen Ausstieg aus der Kernenergie bis 2022 (außerdem Verzicht auf erneute Inbetriebnahme der sieben ältesten Kraftwerke und des Kernkraftwerks Krümmel). Am 30. 6. 2011 stimmte der Bundestag (513 von 620 Abgeordneten) diesem Vorhaben zu. Um die Euroschuldenkrise effizienter bekämpfen zu können, billigte der Bundestag am 29. 9. 2011 eine Erhöhung des deutschen Garantierahmens für den Euro-Rettungsfonds EFSF von 123 auf 211 Milliarden Euro (523 Jastimmen, 85 Neinstimmen und 3 Enthaltungen). Dabei konnte sich Angela Merkel auf 315 Jastimmen aus dem Regierungslager stützen. Damit war die sogenannte Kanzlermehrheit (311 von 330 möglichen Koalitionsstimmen) um 4 Stimmen übertroffen. Eine Kredit- und Medienaffäre sowie öffentliche Debatten über Vergünstigungen brachten Bundespräsident Wulff im Dezember 2011 unter starken innenpolitischen Druck. Am 16. 2. 2012 beantragte die Staatsanwaltschaft Hannover die Aufhebung seiner Immunität, um wegen des Anfangsverdachts der Vorteilsnahme bzw. Vorteilsgewährung ermitteln zu können. Daraufhin trat Wulff am 17. 2. 2012 vom Amt des Bundespräsidenten zurück. Am 27. 2. 2012 billigte der Bundestag ein zweites Griechenland-Hilfspaket im Umfang von 130 Milliarden Euro (496 Jastimmen, 90 Neinstimmen und 5 Enthaltungen). Die politisch wichtige Kanzlermehrheit wurde dabei um sieben Stimmen verfehlt. Die Bundesversammlung wählte am 18. 3. 2012 im ersten Wahlgang J. Gauck mit 991 von 1232 abgegebenen Stimmen zum neuen Bundespräsidenten.
  1. Einleitung
  2. Natur und Klima
    1. Norddeutsches Tiefland
    2. Mittelgebirge
    3. Alpenvorland und Alpen
    4. Geschützte Natur
    5. Klima: maritim bis kontinental
  3. Bevölkerung
    1. Demographische Entwicklung
    2. Vertriebene, Aus- und Umsiedler
    3. Ausländer
    4. Ethnische Minderheiten
    5. Religion
  4. Bildung
  5. Staat und Politik
  6. Wirtschaft und Verkehr
    1. Effektive Landwirtschaft
    2. Bergbau und Energiewirtschaft
    3. Exportorientierte Industrie
    4. Dienstleistungssektor und Tourismus
    5. Gut ausgebautes Verkehrsnetz
  7. Geschichte
    1. Mittelalter
    2. Reformation und Gegenreformation
    3. Zeitalter des Absolutismus
    4. Vom alten zum neuen Reich
    5. Das Kaiserreich
    6. Die Weimarer Republik
    7. Die nationalsozialistische Diktatur
    8. Das geteilte Deutschland
    9. Die Wiedervereinigung
    10. Das wiedervereinigte Deutschland
  8. Deutschland: Staatsaufbau
  9. Militär
 
Fischer_NEU_02.jpg
Wissenschaft

Computer überall

„Computus“ – so heißt das Buch, in dem der Mittelalterhistoriker Arno Borst erklärt, dass Leute, die ihre Texte auf einem Computer schreiben und Geld von einem Konto abheben, Dinge nutzen, deren Bezeichnungen von dem Ausdruck „computus“ abstammen, der zugleich uralt und vielseitig ist. Bereits in der Antike erfassten die Menschen...

fliegende_Herde_Common_Crane,Hortobagy_Ungarn
Wissenschaft

Verhängnisvolle Verspätung

Die meisten Tierarten bekommen ihren Nachwuchs dann, wenn das Nahrungsangebot am Aufzuchtort optimal ist. Doch durch die Klimaerwärmung kommen Zugvögel oft zu spät in ihre Brutgebiete zurück. von CHRISTIAN JUNG Der kleine, auffällig weiß und schwarzbraun gezeichnete Trauerschnäpper verbringt die Winterzeit von September bis März...

Weitere Artikel aus dem Wahrig Herkunftswörterbuch

Weitere Artikel aus dem Vornamenlexikon