Lexikon
Satịre
[die; lateinisch satur, „satt“, „voll“; auch satura (lanx) „(gefüllte) Schüssel“; zuerst im 2. Jh. v. Chr. von Quintus Ennius für eine Sammlung vermischter Gedichte verwendet; vom römischen Dichter Lucilius erstmals im heutigen Sinn gebraucht]
ein literarisches Werk, das aus einer subjektiven Sicht zeitgenössische Missstände oder Anschauungen lächerlich machen will; in literarischer Form gefasste Zeitkritik, deren Stilmittel Parodie, Ironie, Übertreibung, Verzerrung ins Lächerliche sowie Überbetonung negativer Aspekte sind.
Die Ursprünge der Satire liegen in der griechischen (Aristophanes) und römischen Antike (M. T. Varro, Lucilius, Seneca, Petronius, Lukian, Horaz, Juvenal). Das Mittelalter ist von der Ständesatire geprägt, die sich – ausgehend von der hierarchischen, gottgewollten Sozialordnung – einerseits mit Ständerivalitäten auseinander setzte, andererseits Sozialkritik übte. Da sie die Sündhaftigkeit des Menschen darstellte und auf Besserung hinzuwirken versuchte, wird sie der christlichen Didaktik zugerechnet. Im Zeitalter der Renaissance und des Humanismus entstand als neue Gattung die Narrensatire, die menschliche Schwächen und Fehler aufzeigt (S. Brants „Narrenschiff“, Erasmus von Rotterdams „Lob der Torheit“). Die Volksbücher „Till Eulenspiegel“ oder „Die Schildbürger“ folgen der Tradition des Streiche spielenden Hofnarren, und in den Fastnachtspielen und Burlesken richtete sich der Spott gegen die Regierenden. Die Reformation benutzte die Satire als polemisches Mittel im Streit um die christliche Lehre (Erasmus von Rotterdam, U. von Hutten).
Brant, Sebastian: Das Narrenschiff
Sebastian Brant: Das Narrenschiff
Sebastian Brant: „Das Narrenschiff“ mit Illustrationen von Albrecht Dürer, Basel 1494
© wissenmedia
In den Romanen Cervantes’ („Don Quijote“) und Rabelais’ („Gargantua und Pantagruël“) lebte die griechische Satire wieder auf, die sich auch im deutschen Barock findet. Bei Voltaire („Candide“), J. Swift („Gullivers Reisen“), A. Pope („Die Dummkopfiade“) und C. M. Wieland („Die Abderiten“) gründete sich die Kritik auf eine aufklärerische Einstellung. Zu den bedeutendsten Satirikern der Spätaufklärung gehören G. C. Lichtenberg und Jean Paul. Daneben gewannen auch die Fabeln (G. E. Lessing) als Moralsatiren wieder an Bedeutung. In der Klassik und Romantik trat neben die poetische oder epigrammatische Literatursatire Goethes, Schillers und L. Tiecks die politische Satire H. Heines und C. D. Grabbes.
Im angelsächsischen Raum gehören C. Dickens, Mark Twain und A. Bierce zu den größten Satirikern des 19. Jahrhunderts. Im 20. Jahrhundert sind besonders K. Tucholsky und E. Kästner als Vertreter der satirischen Kleinkunst, G. B. Shaw als Dramatiker und B. Brecht hervorzuheben. Zur gleichen Zeit wurden Kabaretts, etwa in Berlin und München, zum Medium für satirische Betrachtungen über tagesaktuelle Politik und Zeitumstände. Als Verfasser utopischer Satiren gelten u. a. A. Huxley und G. Orwell. Romane mit satirischen Zügen von deutschen Autoren der Nachkriegszeit stammen u. a. von W. Koeppen („Das Treibhaus“), M. Walser („Ehen in Philippsburg“) und G. Grass („Die Blechtrommel“). Für eine Wiederbelebung der Satire in den 1970er Jahren sorgte die „Neue Frankfurter Schule“, eine Gruppe von Schriftstellern und Zeichnern (u. a. F. W. Bernstein, R. Gernhardt, E. Henscheid, F. K. Waechter), die zur Redaktion der Satirezeitschriften „Pardon“ und „Titanic“ gehörten. Bekannte satirische Schriftsteller der Gegenwart sind u. a. W. Droste und P. Ensikat.
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