Lexikon

französische Literatur

Vom Realismus bis zur Gegenwart

In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts machte sich der Einfluss der seelenergründenden Kunst der Skandinavier und Russen bemerkbar. Daneben bestanden der alte Individualismus und das Pathos der sozialen Forderungen weiter. Oberstes Gesetz der realistischen Literatur war die Wahrheit (G. Flaubert) und Naturtreue wurde der Gradmesser (E. und J. de Goncourt). Die Literatur begann sich nach den Naturwissenschaften zu richten. Nicht die Sinndeutung des Lebens, sondern seine Entstehung und seine Wirkungen schienen wichtig (H. Taine). Zugleich entstand die Gegenströmung der Parnassiens. Diese strebten in der Lyrik nach dem Ideal absoluter Schönheit (lart pour lart), wobei sich romantische und antiromantische Züge kreuzten.
Zeitekel, Einsamkeit, seelische Erschöpfung, Kampf gegen Gesellschaft, Welt und Religion kennzeichnen die vielleicht bedeutendste Epoche der französischen Lyrik, den Symbolismus (C. Baudelaire, A. Rimbaud, P. Verlaine, S. Mallarmé). Der Roman fand dagegen die rein naturalistische Form im Werk Zolas. Aber auch hier suchte man, die naturwissenschaftlich-positivistische Richtung durch eine verfeinerte Psychologie zu überwinden (G. de Maupassant). A. France verstand es, den Eindruck des klassisch Vollendeten hervorzurufen. Bei A. Gide verbindet sich klassische Form mit der Anklage gegen die Gesellschaft, und die Lyrik P. Valérys hat zahlreiche Züge mit Symbolismus und Klassik gemeinsam. M. Proust andererseits gelang eine Abkehr mit Hilfe psychologischer Analyse und Vertiefung. Es setzte eine Rückbesinnung auf die Kräfte der menschlichen Seele ein, so auch in der neukatholischen Bewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts (C. P. Péguy, F. Mauriac, P. Claudel, G. Bernanos). Zwischen den beiden Weltkriegen wurde der Kampf um den Surrealismus (G. Apollinaire, A. Breton, H. Michaux) ausgetragen, der in Lautréamont seinen Vorläufer hat. Kaum ein französischer Schriftsteller der Moderne ist von dieser Richtung unberührt geblieben (R. Rolland, J. Romains, Saint-John Perse, L. Aragon, P. Éluard, J. Prévert, R. Char). Eine „geläuterte Realität“ wird angestrebt (Alain-Fournier, J. Giraudoux, J. Cocteau, J. Anouilh). Daneben wird das Ideal eines heroischen Lebens verfochten (H. de Montherlant, A. Malraux, A. de Saint-Exupéry). Schließlich gesellt sich als weitere, vornehmlich aus der französischen Widerstandsbewegung des 2. Weltkriegs erwachsene Kraft in der Gegenwartsliteratur der Existenzialismus (A. Camus, J.-P. Sartre) hinzu, der als Lehre von der menschlichen Vereinsamung und Angst eine große Anziehungskraft ausübt.
Anouilh, Jean
Jean Anouilh
Die dramatische Literatur der Nachkriegszeit war durch das absurde Theater geprägt (E. Ionesco, S. Beckett, A. Adamov, J. Audiberti). Ihm zur Seite standen die Schriftsteller des Nouveau roman (N. Sarraute, M. Duras, A. Robbe-Grillet, M. Butor, J. Genet, C. Simon). Sie brachen mit den überlieferten Formen, nur wenige konventionelle Romane erlangten Geltung (F. Sagan). Die gesellschaftlichen und politischen Umbrüche der 1960er Jahre spiegelten sich auch in der Literatur (P. Sollers, R. Gary) und auf dem Theater (A. Mnouchkine). Die letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts wurden von der Theoriebildung bestimmt, die Werke von C. Lévi-Strauss, M. Foucault, R. Barthes, J. Kristeva, J. Derrida u. a. beeinflussten die Literatur wie auch die ihr benachbarten Disziplinen. Neben Werken, die die Vergangenheit des Landes beleuchten (M. Tournier, P. Modiano) und historischen Romanen ( M. Yourcenar) entstanden gegen Ende des Jahrhunderts die aus Autobiografie und Memoiren weiterentwickelte „Autobiofiktion“ (F. Arrabal) sowie der „Deprimismus“, der schonungslos die Abgründe der Gesellschaft aufzeigt (F. Beigbeder, M. Houellebecq).
  1. Einleitung
  2. Provençalische Literatur
  3. Renaissance
  4. Klassik
  5. Aufklärung
  6. Romantik
  7. Vom Realismus bis zur Gegenwart
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